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BIBLIOTHEK MEDICINISCHER KLASSIKER.
Herausgegeben von Medicinalrath Dr. J. Ch. Huber.
BAND I.
Soranus von Ephesus.
DIE
GYNÄKOLOGIE
(ticqI ywaixeLiov)
DES
SORANUS VON EPHESUS
GEBURTSHILFE,
FRAUEN- und KINDER-KRANKHEITEN, DIÄTETIK der NEUGEBORENEN.
ÜBERSETZT
Dr. phil. H. LUNEBURG.
COMMENTIRT UND MIT BEILAGEN VERSEHEN
VON
DR. J. CH. HUBER,
MEDICINALRATH.
1894.
MÜNCHEN.
J. F. LEHMANN’s VERLAG.
VERTRETUNG FÜR DIE SCHWEIZ : E. SPEIDEL IN ZÜRICH.
Weltcoras Library
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Druck der kgl. Universitäts-Druckoret von H. Stürtz, Würzburg.
Vorwort.
Nicht das prächtige Korinth , nicht das parteidurchwühlte Athen, nicht das pindarische Theben waren im Stande, der Ent- wicklung der Heilkunde einen geeigneten Boden zu bereiten. An den friedlich belebten Ufern der kleinasiatischen Halbinsel, wo die jonische Intelligenz mit den Schätzen des Orients vereint, zu herrlicher Kultur emporblühte, da nur gedieh die heilige Kunst des Asclepios. Da standen ;die Tempel des Gottes auf Knidos und Kos, letzteres dier Mutter des Hippokrates und Praxagoras. Hier stand Pergamus, das uns den grossen Galen schenkte, hier erblühte der Ivappadocier Aretaeus, hier der originelle Asclepiades von Prusa, hier der unsterbliche Cilicier Dioscorides, hier die verdienstvollen Sammler Oribasius von Sardes und Aetius von Amida, hier Alexander von Tralles, hier in dem reichen Ephesus der bedeutende Rufus und der Gynäkolog Soranus.
Das Wenige, was wir über die Lebensumstände des grossen Arztes erfahren, müssen wir aus dem Byzantiner Suidas ent- nehmen: „Soranos, der Sohn des Menander und der Phoebe, aus Ephesus, hielt sich als Arzt (Studirender !) zu Alexandria auf, praktizirte in Rom unter den Kaisern Trajan und Hadrian, war der Verfasser vieler vorzüglicher Schriften.
Ein jüngerer ephesischer Arzt Soranus schrieb vier Bücher über weibliche Krankheiten; zehn Bücher über die Sekten und Biographien der Aerzte, auch über die medizinische Litteratur und allerlei Anderes.“ Soweit Suidas.
Offenbar sind diese beiden Sorane identisch.
Wie überall werden wir uns das Bild des bedeutenden Arztes am sichersten aus dem Inhalte seiner Schriften rekonstruiren.
IV
Die ärztliche Schule des Soranus war die der Methodiker was aus seinen Büchern an zahllosen Stellen deutlich erhellen würde wenn wir auch nicht das Zeugniss des Pergameners (ed. Kühn XIV, 484) besitzen würden. Aus dieser wichtigen Stelle ersehen wir aber auch, dass Soran zu seiner Schule eine sehr unab- hängige Stellung einnahm, was von seiner zur Kritik geneigten ichtung zu erwarten war. Neben Olympiacus von Milet, Menemachus von Aphrodisias wird hier Soranus als Dissenter bezüglich einiger Punkte aufgeführt.
Die philosophische Richtung des Ephesiers entsprach den Lehren Epicur’s, die uns der Römer Lucretius Carus in seinem berühmten Lehrgedichte popularisirt hat. Sein durchdringender Verstand setzte sich zu jedem Supranaturalismus und Mysticismus in scharfen Gegensatz und suchte Befriedigung in dem Atomismus des samischen Materialisten.
Wir werden sehen, dass er sogar von den Elebammen ver- langte, dass sie ddeioidai/iiovec; seien und dass sie ihren Pflichten zuliebe selbst auf gottesdienstliche Handlungen zu resigniren haben.
Jener für Soranus so charakteristische Widerwille gegen alles Geheimniss volle zeigt sich auch in dem Kapitel über das Alp- drücken (Cael. Aurelian., Chron. Lib. I. cap. 3): „Nam quod neque Deus, neque semideus, neque cupido sit, libris causarum plenissime Soranus explicavit.“
Dass er seine Praxis zu Rom ausübte, dürfte feststehen, (Theil I, § 1 1 3), da er eine gewisse Kenntniss römischer Verhält- nisse zeigt. Dass seine Klientel den begüterten Klassen ange- hörte, kann man aus manchen seiner Rathschläge erschliessen, z. B. wenn er empfiehlt, für alle Fälle zwei Ammen in Bereit- schaft zu halten. — Dass er Grundbesitzer war, das zu vermuthen könnten die sehr oft wiederholten Gleichnisse berechtigen , in denen er den Landbau zum Gegenstände wählt.
Der Charakter seiner Schriftstellerei ist der Kriticismus, bei grosser Belesenheit in der medizinischen Litteratur ist er frei von jeder Nachbeterei und gestattet sich den gefeiertsten Namen des Alterthums den Handschuh hin zu werfen.
Es ist bekannt, dass das Werk des Caelius Aurelian us aus Sicca: De morbis acutis et chronicis Libri VIII nach einem
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Buche des Ej^esiers bearbeitet wurde. Zur näheren Kenntniss Soran’s ist ein Studium des C. Aurelianus sehr noth wendig. Leider fehlt eine kritische, zeitgemässe Edition.
Ein Verzeichniss der WLrke des Soranus findet sich in der Ausgabe von Ermerins p. XX. Das obgenannte von Cael. Aure- lianus redigirte Buch neql o^kov xai xqovlmv naOtov dürfte eines seiner bedeutendsten Werke sein. Ausserdem hat er auch die Chirurgie behandelt und ein aus vier Büchern bestehendes Werk tisq'l cpaQf.iay.dag publizirt.
Aus gaben:
Sorani Ephesii de Arte obstetricia morbisque mulierum quae supersunt. Ex apographo Friderici Reinholdi Dietz, nuper fato perfuncti primum edita. Regimontis Prussorum 1838. 8. VI. und 300 p. (Mit Varianten.) Mit Benützung des Codex Parisiensis 2153 und des Codex Romanus Barberinus 35g, mendosus.
Sorani Ephesii Liber de muliebribus affectionibus. Recensuit et latine interpretatus est Franciscus Zacharias Ermerins. Irajecti ad Rhenum 1859. 8- CXVII. u. 305 p. (Mit sehr guter kritischer und historischer Einleitung.)
Sorani Gynaeciorum vetus translatio latina nunc primum edita cum additis graeci textus reliquiis a Dietzio repertis atque ad ipsum Codicum Parisiensem nunc recognitis a Valentino Rose (c. 2, Tab. lith.) Lipsiae, in aedibus Teubneri 1882. XX. u. 423 p. Enthält vorn auch die Gynaecia Muscionis, die alte lateinische Bearbeitung des Soranus. Leider ist diese Teubner’sche Edition nicht arm an Druckfehlern.
Memmingen, 16. Juni 1894.
Dr. J. Chr. Huber,
Litteratur.
Galenus, ed. Kühn X. 53. XII. 414. 493_9S. 9g7. XIIr. ^ XIy> ^
I ertullianus, de anima, cap. VI.
Oribasius III. 369-82 ed. Bussemaker et Daremberg. (Abdruck des Kapitels
itepi pijrpa?.) 1
A e t i u s v. Amida, Tetrabibiion. Bei vielen Kapiteln, welche dieAufschrift ex „Sorano“
Itagen, ist dem Aetius nicht ganz zu trauen. Hierüber Näheres in der Edition von Ermerins,
Paulus Aegi net a IV. 59 (aepi Spaxovrt'oiv). VI. 99. de Humero fracto etc. Suidas, Lexicon; etwa 976 post Chr. verfasst.
Haeser, de Sorano Epliesio ejusque mrspl pvaixsttuv na&djv libro nuper reperto programma. Jenae 1840. 4.
Geschichte d. Medizin I. 304—31^ (3. Aull.) 1875.
Pinoff, Isidor, Diss. Artis obstetriciae Sorani Ephesii doctrina etc. Vralisl. 1841. 8. und in Janus I. 705. II. 16 etc.
L. Choulant, Handbuch d. Bücherkunde f. die ältere Medizin. Leipzig 1841. 2. Aufl. p. 92 — 94.
Inhalt.
Erstes Buch. Seite
Einleitung 1
Eintheilung des Stoffes 1
Kap. I. Welche Frau eignet sich zur Hebamme? 2
„ II. Die tüchtigste Hebamme - 3
III. Die physische Beschaffenheit der Gebärmutter und der weib- lichen Scham 4
„ IV. Die Menstruation 10
„ V. Die Zeichen der eintretenden Menstruation 13
„ VI. Der Nutzen der monatlichen Reinigung 15
„ VII. Ist dauernde Jungfrauschaft der Gesundheit zuträglich? ... 18
„ VIII. Wie lange muss das Weib die Jungfrauschaft bewahren? . . 20
„ IX. Die Zeichen der mulhmasslichen Fruchtbarkeit 21
„ X. Ueber die zur Conception passendste Zeit der Begattung . . 23
„ XI. Ist die Conception der Gesundheit zuträglich? 27
„ XII. Die Zeichen der Conception 28
„ XIII. Die Merkmale, aus denen die alten Aerzte das muthmassliche
Geschlecht der Frucht bestimmten 30
„ XIV. Die Pflege der Frauen, welche concipirt haben 31
„ XV. Gelüste der Schwangeren (y.iarsa) 33
„ XVI. Die Pflege der Schwangeren in der Zeit seit der Kissa bis
zum Geburtsakt 37
„ XVII. Ueber die Entwickelung des Eies in der Gebärmutter ... 40
* XVIII. Die Zeichen eines bevorstehenden Absterbens der Frucht . . 42
„ XIX. Ueber den Gebrauch der Abortiva und der Mittel, welche die
Conception verhindern 43
„ XX. Die Vorzeichen einer normalen Geburt 47
» XXI. Die Vorbereitungen für die Geburt 47
n XXII. Die zurückgehaltene Nachgeburt 51
„ XXIIT. Die Pflege der Wöchnerinnen e?
. XXIV. — - - 54
r XXV. Das Anschwellen der Brüste 54
Die Pflege des Kindes 56
» XXVI. Die Kennzeichen eines zur Aufziehung geeigneten Kindes . . 56
„ XXVII. Das Durchtrennen der Nabelschnur 57
VIII
Seite
Kap. XXVIII. Die Reinigung des Kindes 58
„ XXIX. Das Wickeln des Kindes 59
„ XXX. Die Lagerung des neugeborenen Kindes Ci
„ XXXI. Die Nahrung des Säuglings 62
„ XXXII. Die Auswahl der Amme 64
„ XXXIII. Die Prüfung der Milch 67
„ XXXIV. Die Lebensweise und Diät der Amme 69
„ XXXV. Die Massregeln, welche zu ergreifen sind, wenn die Milch ganz
ausgeht oder verdorben wird, zu dick oder zu dünn ist . 73
A XXXVI. Das Baden und Frottiren der Kinder 74
„ XXXVII. Wie und wann dem Kinde die Brust zu geben ist ... . 78
„ XXXVIII. Das Abfallen des Nabels 81
„ XXXIX. Wann und wie ist das Kind aus den Windeln zu nehmen . 82
A XL. Wie muss man die Kinder im Sitzen und Gehen üben? . . 83
fl XLI. Zeit und Methode der Entwöhnung des Kindes 84
„ XL1I. Das Zahnen 86
„ XLIII. Die Entzündung der Mandeln 87
„ XLIV. Die Aphthen 87
fl XLV. Ausschlag und Jucken 88
„ XLVI. Vom Katarrh und Husten 9°
A XLVII. Die Siriasis 9°
„ XLVIII. Der Bauchfluss 91
Zweites Buch.
Einleitung 95
Giebt es Krankheiten, welche den Frauen e i g e n t h ü m 1 ich sind? 95
Kap. I. Amenorrhoe und Dysmenorrhoe 98
„ II. Entzündung des Uterus I07
„ III. Die Satyriasis 111
„ IV. Hysterischer Stickkrampf 111
B V. Die Anspannung des Uterus rl6
B VI. Anfüllung des Uterus mit Luft JI6
„ VII. Oedem des Uterus 118
B VIII. Scirrhus und Scleroma uteri 1
IX. Die Mola II()
fl X. Ilaemorrhagia uteri 121
„ XI. Der Ausfluss aus den weiblichen Gesclilechtstheilen .... 124
XII. Die Gonorrhoe I2'
„ XIII. Atonie des Uterus 128
A XIV. Paralyse des Uterus I29
XV. Ueber Lateralflexion, Version und Elevation des Uterus . . 130
A XVI. Impotenz und Sterilität I$1
XVII. Von der schweren Geburt I3I
, XVIII. (Fortsetzung)
IX
Seite
Kap. XIX. (Fortsetzung) r4x
XX. Die zurückgehaltene Nachgeburt *45
XXI. Abscesse an den Genitalien r46
XXII. Geschwüre im Uterus *46
XXIII. Carcinome der Gebärmutter J46
XXIV. Fistelgeschwüre der Gebärmutter 146
XXV. Abnorme Grösse der Clitoris ... 146
XXVI. Cercosis (schwanförmiger Auswuchs an den Genitalien) . . 147
„ XXVII. Warzen an den Genitalien 147
„ XXVIII. Risse r4 7
„ XXIX. Condylome (Feigwarzeu) 147
„ XXX. Hämorrhoiden im Uterus 147
„ XXXI. Vorfall der Gebärmutter .... 148
„ XXXII. Phimose der Gebärmutter 153
„ XXXIII. Atresie des Uterus 153
Honiggeschwülste , Breigeschwülste und Speckgeschwülste an
den äusseren Genitalien 153
„ XXXIV. Die Anwendung des Mutterspiegels 153
Die Materia medica et diaetetica des Soranus 154
I. Pflanzen und ihre Produkte [54
II. Thierreich .... 166
III. Fossilien etc 1 7 1
Erstes Buch.
Einleitung.
Eintheilung des Stoffes.1)
§ i. Da zur leichteren Bearbeitung- des Themas die Glie- derung des Stoffes wesentlich beiträgt, ist es von Nutzen, zu- nächst den letzteren in seine Theile und Abschnitte zu zerlegen und diese schriftlich zu fixiren. Manche theilen ihn nun zwei- fach und zwar unterscheiden sie einen praktischen und einen theo- retischen Theil; den praktischen zerlegen sie wieder in Hygiene und Therapie. Andere behandeln im ersten Theile die normalen, im zweiten Theile die widernatürlichen Vorgänge; noch andere nehmen einen physiologischen, einen pathologischen und einen therapeutischen Theil an. Wir selbst sondern den Stoff in zwei Abschnitte, von welchen der erste über die Hebamme das Nötige sagt, der zweite die in den Bereich ihrer Thätigkeit kommenden Fälle bespricht.
§ 2. Weiter untersuchen wir im ersten Abschnitte zunächst, wie man beschaffen sein muss, um Hebamme zu werden, und dann, welches die tüchtigste Hebamme ist; im zweiten Abschnitt besprechen wir die natürlichen und widernatürlichen Erschein- ungen. Wir unterscheiden ferner bei den natürlichen einen physio- logischen Theil, welcher über den Samen und die Zeugung handeln wird, und einen hygienischen und geburtshülflichen Theil, in
1) Zum Verständnis dieses Abschnitts und zugleich zahlreicher anderer Stellen des Autors muss man sich erinnern, dass derselbe zu der Schule der Methodiker gehörte, welche in Themison ihr Haupt erblickte. Basirt auf der alten Atomenlehre des Demokritos wurden die paihischen Züstände von dieser medizinischen Theorie auf zwei Kategorien („Kommunitäten“) zurückgeführt, das „Laxum“ und das „Strictum“, Erschlaffung und Zusammenziehung, womit auch dem therapeutischen Eingriff der Weg vorgezeichnet war.
Die wegwerfende Aeusserung über den Werth der Anatomie (»uctixo'v) etc. beruht ebenfalls auf den Grundsätzen der Schule, welche jene Verachtung mit ähn- lichen doctrinären Richtungen stets getheilt hat.
Ausführliches über die Methodiker bei Häser, Lehrbuch I. 268 und Darembero- Histoire des Sciences med. I. 178 — 190.
So ran us: (Jcbcr die Krankheilen des weiblichen Geschlechtes. r
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welchem wir über die Pflege der schwangeren und gebärenden Frau unterrichten und zugleich die Ernährung und Erziehung des Kindes mit berücksichtigen; bei den widernatürlichen besprechen wir aber zunächst die Leiden, welche diätetisch behandelt werden, wohin das Ausbleiben der Periode, die Dysmenorrhoe, die Mutter- beschwerden und ähnliche Krankheiten gehören, sodann die Leiden, welche chirurgisch und nicht mit Medikamenten zu behandeln sind wie die schwere Geburt, der Gebärmuttervorfall und dergleichen. Die Abhandlung des Physiologischen aber haben wir, da es für unsere Aufgabe unwesentlich und nur wissenschaftlich interessant ist, davon losgelöst und im Vorliegenden nur das Notwendige ge- geben. Vor Allen werden wir uns zunächst über die Hebamme unterrichten und dann den hygienischen und pathologischen Theil bhandeln; denn dieser Theil ist stoffreicher und wegen der Mannig- faltigkeit schwieriger zu behandeln als die übrigen, weswegen er ans Ende des Werkes gehört.
Kapitel I.
Welche Frau eignet sich zur Hebamme?1)
§ 3. Diese Erörterung ist nothwendig, damit wir nicht unge- eignete Personen unterrichten und uns umsonst bemühen. Er- forderlich ist Kenntniss des Lesens und Schreibens, scharfer Ver- stand, gutes Gedächtniss, Fleiss, Ehrbarkeit, normale Sinnesorgane, gesunde und kräftige Gliedmassen ; manche verlangen auch, dass die Hebamme lange und schmale Finger habe und die Nägel kurz gerundet trage. Die Kenntniss der Schrift verschafft ihr die Möglichkeit, auch theoretisch ihre Kunst zu studiren, scharfer Verstand erleichtert es ihr, was sie hört und sieht zu verstehen, das gute Gedächtniss, die erlernten Kenntnisse zu behalten; denn das Wissen gründet sich auf Merken und Auffassung. Liebe zur Arbeit verleiht ihr Ausdauer; denn mannhaften Ausharrens im Leiden bedarf, wer eine solche Wissenschaft erlernen will. Ehr- bar muss sie sein, weil ihr bisweilen Hauswesen und Privatge- heimnisse anvertraut werden, und weil verdorbene Charaktere die Einbildung, medizinische Kenntnisse zu besitzen, oft zu Intriguen verleitet; ferner im Besitze gesunder Sinnesorgane, weil sie bald mit den Augen, bald mit dem Gehör untersuchen, bald mit dem
1) Die Aufzählung der zum Hebammenberuf nöthigen Qualitäten erinnert an die Schilderung, welche Celsus im VH. Buche von dem Ideale des Chirurgen gibt. (,,Esse autem debet chirurgus adolescens etc. manu strenua“ etc.) Da Celsus etwa 80 Jahre vor Soranus geschrieben hat, so konnte Letzterer kaum ohne Kenntniss des gelesensten römischen Mediziners gewesen sein.
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Tastsinn erfassen muss; mit geraden Gliedern begabt, damit sie unbehindert ihren Geschäften nachgehen kann , von kräftiger Konstitution, denn weil sie auf mühsame Wanderungen ange- wiesen ist, unterzieht sie sich gewissermassen doppelter An- strengung. Auch ist es gut, wenn sie lange und schmale Finger hat und kurze Nägel trägt, damit sie beim Berühren entzündeter Stellen im Innern keine Schmerzen verursacht. Dieses erreicht sie jedoch auch von selbst durch fleissige Arbeit und Uebung.
Kapitel II.
Die tüchtigste Hebamme1).
§ 4. Es ist nöthig, das was zu einer tüchtigen Wehemutter g'ehört, zu besprechen, damit die tüchtigsten ihrer selbst bewusst werden, die Anfängerinnen dieselben als Muster ansehen , das Publikum aber wisse, welche es rufen soll.
Im Allgemeinen nennen wir diejenige fertig, welche die Heil- kunst völlig erfasst hat (theoretisch), die tüchtigste aber die, welche schon mit Hand angelegt hat und mit der Theorie viele Erfahrung verbindet.
Im Besonderen aber betrachten wir diejenige Hebamme als die tüchtigste, welche im ganzen Gebiete der Therapie geübt ist — denn bald muss man diätetisch, bald chirurgisch, bald pharmaceutisch eingreifen — , die im Stande ist, richtige An- weisungen zu geben, die den Zusammenhang mit dem Allge- meinen erfasst, das Nützliche daraus zu entnehmen versteht,, dann im Einzelnen sich nicht beim Wechsel der Symptome verwirren lässt, sondern dieselben in entsprechender Weise lindert, welche ferner ruhig und unerschrocken bei Eintreten von Lebensgefahr ist, in geschickter Weise den richtigen Weg der Hilfe vorzu- schlagen versteht, Trost den Leidenden zuspricht, Mitgefühl be- sitzt. Dass sie bereits geboren habe, ist nicht durchaus erforder- lich, wie einige Autoren meinen, damit sie bei eigener Ivenntniss
1) Die Hebamme soll „aSeiaiSalp-ov“ sein, was man frei übersetzen kann „nicht bigott, nicht abergläubisch“; wörtlich hiesse es „ohne Furcht vor einem Dämon“, d. h. vor einem übersinnlichen Wesen. Es zeigt sich hier die philosophische Schule des Ephesiers, welche ohne Zweifel die des Demokritos und des Epikurus ist. Diese Schulen, deren Dogmen in dem Lehrgedichte des Lucretius Carus popularisirt sind, verwarfen jede metaphysische Endursache im Gegensatz zu dem allerdings stark ausgearteten polytheistischen Volksglauben.
„v.Xr)Bova4“ der Glaube an das „Beschreien“ , „Berufen“ („favete linguis“ der Römer). Odyss. XVIII. 117.
„Weichheit der Hände“ hier vergleiche man Iuvenal VI 289 ff. „vellere Tusco vexatae duraeque manus“.
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der Schmerzen mit den Kreissenden fühle, was bei solchen, die geboren habe, eher vorauszusetzen sei.
Ferner erfordert ihr Dienst Kraft, doch braucht sie nicht durch- aus jung zu sein, denn auch eine junge kann kraftlos und im Gegen- theil eine ältere stark sein; dann muss sie mässig im Genuss und stets nüchtern sein, weil der Augenblick nicht vorauszusehen ist, wo sie zu gefährlich Kranken gerufen wird, auch verschwiegen, da ihr viele Lebensgeheimnisse an vertraut werden, auch unbe- stechlich, auf dass sie nicht für Geld Abtreibungsmittel ver- abreiche, frei von Aberglauben, damit sie nicht um eines Traumes oder einer Beschreiung oder des gewohnten Mysteriums und Gottesdienstes willen eine heilbringende Handlung unterlässt. Schliesslich soll sie für die Weichheit der Hände sorgen, weshalb die Wollarbeiten zu unterlassen sind, welche die Hände hart machen können, und diejenigen, welche von Natur keine weichen Hände besitzen, sie durch Salben zart machen müssen. So muss diejenige beschaffen sein, welche für die tüchtigste Hebamme gelten will.
§ 5. Wenn wir auf die Hygiene zu sprechen kommen wollen, wird es zuerst nothwendig sein, in eine Erörterung über die Be- schaffenheit der weiblichen Organe einzutreten. Diese erkennen wir theils durch den Augenschein selbst, theils durch die Ana- tomie; da die letztere, wenn auch an sich werthlos, dennoch im wissenschaftlichen Interesse beigezogen wird, werden wir auch zeigen, was durch sie zu erfahren ist. Man wird unserer Be- hauptung, die Anatomie sei werthlos, leichter glauben, wenn wir zuvor derselben kundig befunden werden, und wir werden nicht den Argwohn erwecken, als verwürfen wir aus Unkenntniss Dinge, welche sonst als werthvoll gelten.
Kapitel III.
Die physische Beschaffenheit der Gebärmutter und der weiblichen Scham1).
§ 6. Die Gebärmutter [/.trjrQa) heisst auch voiega (Uterus) oder delq)vs- Der Name f.iijrQa stammt daher, weil die Gebär- mutter die Mutter aller aus ihr erzeugten Früchte ist oder weil sie diejenigen zu Müttern macht, welche sie ebenfalls besitzen,
i) Dieser Abschnitt war lange Zeit das einzige grössere von Sora nus erhaltene Fragment und wurde von Oribasius in sein Sammelwerk aulgeuommen (ed. Busse- maker u. Daremberg III. 369 mit französ. Version.)
Ob Soranus selbst anatomisch gearbeitet hat, ist zu bezweifeln, da er einer- seits seine Verachtung der Anatomie offen bekennt, da sich andererseits viele An-
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nach einigen Autoren nennt man sie so, weil sie das Zeitmass (usTQov) für die Reinigung und die Geburt giebt. „‘YoveQa“ heisst sie, weil sie erst spät (votsqov) in Funktion tritt oder weil sie, wönn auch nicht genau so doch annähernd, den Schluss der Eingeweide bildet. Jelyvg“ heisst sie, weil sie zum Gebären von Geschwistern (adeXcpoi) bestimmt ist.
§ 7. Die Gebärmutter liegt in dem breiten Raum der Hüften (Beckenhöhle) innerhalb des Bauchfells zwischen der Harnblase und dem Mastdarm, auf diesem und unter jener liegend, bald ganz bald theilweise, je nach ihrer Grösse. Bei den Kindern ist der Uterus kleiner als die Blase, weswegen er sich auch ganz unter derselben versteckt; bei den reifen Jungfrauen liegt er auf der gleichen Höhe mit der Blase, bei noch älteren, zumal bei solchen, welche bereits die Jungfrauschaft verloren oder sogar schon einmal geboren haben, ist der Uterus grösser, so dass er sich bei den meisten unmittelbar an das Ende des Kolon (Grimm- darm) anlehnt. Am meisten wächst er in der Schwangerschaft, wovon man sich schon durch den Augenschein überzeugen kann, da das Peritoneum und der obere Bauch wegen des Umfanges
gaben finden, welche mit der Natur durchaus nicht stimmen, so z. B. wenn er die Konsistenz der Cervicalportion bei Jungfrauen mit der Lunge vergleicht. Auch In- konsequenzen finden sich, einmal wird TpayrjXoc als Cervix beschrieben*, ein ander- mal muss der Ausdruck als Vagina gedeutet werden.
Die Vergleichung der Gebärmutter mit einem Schröpfkopf ist allerdings treffend, beweist aber noch keine Autopsie Jedenfalls gegenüber HerOphilos ein grosser Fortschritt, welcher den Uterus nach dem Befunde an Thieren schildert (iXr/.osioY]?). Man vergleiche auch Häser, Lehrbuch I. 307.
n-öp'jycop.a-a nehme ich als Labia minora, gegen Daremberg, welcher das "Wort als Labia majora deutet. Die von Soranus angegebene Verbindung mit der Klitoris spricht für ,, minora1, SiSupoi = Hoden, testes muliebres, Ovaria.
„itopoc a7tspp.G<Ti-/.o;“ wird von Albrecbt v. Haller als ,,arteria vaginalis“ aufgefasst. Ich möchte eher an die „Ligamenta rotunda“ denken.
„vupcfY]“ heisst bei uns „Labium minus“, bei Soranus ist es die Klitoris, uud wird bei den Alten mit einer sich öffnenden Rosenknospe verglichen (cfr. auch Rufus von Ephesus, ed. Ruelle pag. 147), ferner Paulus Aegineta Lib. VI. cap. 70.
Die Existenz des Plymen wird geläugnet, was wohl daher rührt, dass die Untersuchungen an Thieren gemacht wurden (v. Haller, Element, physiol. Tom VII Pars. II. p 91 ff.), historisch und litterarisch sehr genaue Darstellung.
hoXutcouc, Polyp, wird sich wohl auf Octopus vulgaris beziehen (Aristoteles Thiergeschichte, ed. Aubert und Wimmer, Lib. IV. § 5 und Einleitung I. p. 150).
itXexTa'vif] Fangarm des Polypen, mit Saugnäpfchen besetzt, welche mit den Kotyledonen der Wiederkäuer Aehnlichkeit haben.
Das Oeffnen des Muttermundes, welches Soranus erwähnt, wurde auch von neueren Gynäkologen gesehen (Hensen, Physiologie der Zeugung p. in).
Ueber die Sympathie zwischen Uterus und Mamma sehe man auch Hippo- krates de morb mulier. Lib. II 174.
Aus dem Welkwerden der Brüste wird der kommende Abortus vorhergesagt, übereinstimmend mit Hippokrates Aphorism. V. 37 und 53.
Die anatomischen Wahrnehmungen des Soranus werden auch von A. von Haller mit Anerkennung besprochen (Bibliolhec. anatom. I. p. 71 — 72. Zu ver- gleichen ist Rufus von Ephesus (nspt ovopaoia;) pag. 160 ed. Ruelle.
der Prucht nebst Eihäuten und Fruchtwasser (Liquor Amnii) stark anschwellen; nach der Geburt zieht er sich wieder zusammen, bleibt jedoch grösser als er vor der Geburt war. Zu jener Zeit ist die Gebärmutter grösser als die Blase und bleibt nicht unter ihr versteckt. Denn vorne ragt der Hals der Blase weit vor, indem er ja auch in der Harnröhre endet und sich längs der ganzen Mutterscheide erstreckt, aber er trennt sich vorher vom Uterus; zuhinterst aber findet sich der Grund (Fundus) des Uterus weit oberhalb der Blase und zwar unmittelbar unter dem Nabel, so dass der Körper der Blase auf dem Halse der Gebärmutter, der Grund aber auf dem Körper derselben liegt.
§ 8. Die Gebärmutter ist durch dünne Häute verbunden nach oben mit der Blase, nach unten mit dem Darm, nach den Seiten und hinten mit den Theilen, die von den Hüften und dem Heiligenbein her wachsen. Wenn diese sich durch Entzündung zusammenziehen , wird sie nach oben gezogen oder gebeugt, •wenn sie dagegen nachlassen und schlaff werden, so fällt sie vor, und dies kommt nicht daher, wie manche glauben, weil sie ein Thier ist, sondern weil sie, wie andere Theile, Reizbarkeit hat und deswegen durch Kälte sich zusammenzieht und unter aus- dehnenden Einflüssen wieder erschlafft.
§ 9. Die Gestalt des Uterus ist nicht wie bei den vernunft- losen Thieren gewunden, sondern ähnlich dem Schröpfkopf der Heilkunst. Im Grunde (Fundus) anfänglich rund und breit zieht er sich allmählich zu einer engen Mündung zusammen. Es heisst nun der erste hervorragende Theil „der Mund“ (ozö/.uov, ostium), der darauf folgende der Hals (zgayiftos, collum), der nächste der Nacken ( avyijv , cervix), alle diese zusammen der Schaft (y.av).ds, c.aulis), die sich dann von beiden Seiten nach der Enge des Halses erstreckenden Theile heissen im Anfang die Schultern (c olioi, humeri), dann die Seiten [rc Ievqci, latera), am Ende der Grund der Gebärmutter (nvO-fnjv, fundus); darunter liegt die Basis; der ganze Raum aber heisst die Höhlung (y.vzog, cavum), Leib ( ydazQa , venter) oder Schoss (y.ölnog, sinus).
§ 10. Der Mund liegt in der Mitte der weiblichen Scheide, der Hals wird durch die Schamlippen umfasst. Von diesen ist aber der Mund bei den einen mehr, bei anderen weniger weit abstehend je nach dem Alter, so im Durchschnitt bei denen, welche bereits geschlechtsreif sind, 5 bis 6 Finger breit. (Ausser anderen Gründen sollen auch gerade deswegen junge Mädchen von Greisen schwanger werden können, weil ihre Mündung nur 4 Finger von den Flügeln entfernt ist, dagegen nie mehr ältere Weiber von Jünglingen, weil ihr Mund zu weit von den klügeln sich zurückgezogen hat.) Leichter zugänglich wird der Mund gegen die Geburt, weil der Hals sich verlängert. Die Grösse ist
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verschieden, abgesehen davon, dass bei den meisten naturgemäss der Mund so gross ist wie das äussere Ende des Gehörganges, Zu manchen Zeiten öffnet sich der Mund, so bei der Aufregung des Coitus, um den Samen aufzunehmen, bei der monatlichen Reinigung! um das Blut auszuscheiden, endlich in der Schwanger- Schaft im Verhältnis zum Wachsthum des Embryo. Bei der Geburt jedoch öffnet er sich am weitesten und zwar so weit, dass die Hände Erwachsener hineingelangen können. Im natürlichen Zu- stande ist er weich und fleischig bei den Jungfrauen, so schwammig wie die Lunge oder so weich wie die Zunge, bei denen, die bereits geboren haben, verhärtet er sich, wie etwa der Kopf eines Polypen oder nach Herophilos wie das obere Ende des Kehlkopfes; er wird hart durch den Ausfluss des Sekrets und durch den Durchtritt der Frucht.
§ ii. Die ganze Gebärmutter ist vorherrschend nervig. Sie setzt sich aber nicht nur aus Nerven, sondern auch aus Venen und Arterien und Fleisch zusammen. Von diesen kommen die Nerven von der Rückenmarkshaut (Dura mater) her, die Arterien und Venen von der Hohlader, welche bei dem Rückgrats wirbel liegt, und der grossen Arterie und zwar trennen sich zwei Venen von der Hohlader und zwei Arterien von der grossen Arterie. Je eine Vene und Arterie geht zu beiden Nieren; bevor sie dann in sie eintreten, spalten sie sich und verlaufen in zwei Aesten in beide Nieren, mit zwei umflechten sie die Gebärmutter, so dass sich vier Gefässe in sie ergiessen, zwei Arterien und zwei Venen, Aus diesen ergiessen sich in beide Hoden je eine Vene und eine Arterie.
§ 12. Die Hoden (Ovarien) lagern ausserhalb in der Nähe des Cervix, an jeder Seite eine. Sie sind mürbe und drüsig,, dabei mit besonderer Haut bedeckt. Ihre Gestalt 'ist nicht wie bei den Männern länglich, sondern etwas aufwärts gekrümmt, stielrund und an der Basis abgeplattet.
Der Samengang zur Gebärmutter führt aus beiden Hoden, sich an den Seiten längst ziehend, bis zur Blase und pflanzt sich in den Hals derselben. Daher glaubte man, es trage der weib- liche Samen zur Erzeugung nicht bei, weil er sich nach aussen ergiesse. Doch hierüber reden wir in dem Abschnitt über den Samen.
Einige und unter ihnen auch Chius behaupten, sie besitzen auch Aufhängebänder. Auch wir haben dies durch Augenschein an. einer Frau gesehen, welche an Darmbruch (Enterocele) litt; bei deren Operation 'fiel der Hoden vor, da die ihn haltenden und umfassenden Gefässe nachliessen, mit welchen auch ein Band (Ligam. Suspensorium) vorfiel.
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§ 13. Die ganze Gebärmutter setzt sich aus zwei aufeinander liegenden Schichten zusammen, die Papierfasern ähnlich sind. Die äussere ist mehr nervig, glatt, hart und bleich, die innere mehr fleischig, unebener, weich und röthlich, ganz und gar mit Gefässen verwoben und zwar sind diese nach dem Grunde zu zahlreicher und bedeutender, weil hier der Samen haftet und von hier aus die Reinigung vor sich geht. Die beiden Schichten hängen wieder mit einander durch schlaffe Gewebe und Nerven zusammen, so dass der Uterus bei häufiger Ausdehnung vorfällt, indem die nervige Haut an ihrem Platze bleibt, die innere aber sich heraus- stülpt.
§ 14. Ferner hat in der Regel der Uterus bei denen, die nicht geboren haben, in seinem Grunde zwei Falten gerunzelt, wie Filz, bei denen aber, welche bereits geboren haben, dehnt sich der ganze Uterus aus und wird rund. Diokles behauptet, auch Saugnäpfe, welche auch nlzxxdvai oder Mutterhörner heissen, befänden sich in dem Aveiten Raum der Gebärmutter; sie seien zitzenförmige Auswüchse, auf dem Grunde breit und nach oben spitz, an beiden Seiten liegend; vorsorglicher Weise seien sie von der Natur geschaffen, damit der Embryo schon vorher lerne die Warzen der Mutterbrust anzuziehen. Doch dies ist ein anatomischer Irrthum. Die Saugwarzen lassen sich nicht finden und es wider- spricht der Natur, was man über sie sagt, wie in den Kommen- taren über die Zeugung bewiesen wird.
§ 15. Man muss nicht annehmen, dass die Gebärmutter für das Leben von grosser Bedeutung ist. Denn sie fällt nicht nur vor, sie wird auch bei manchen herausgeschnitten, ohne den Tod herbeizuführen, wie Themison erzählt. In Gallien soll man den zur Mast bestimmten Schweinen die Gebärmutter ausschneiden.
Wenn sie jedoch krank ist, so zieht sie Magen und Gehirn- häute in Mitleidenschaft. Auch besteht zwischen ihr und den Brüsten eine natürliche Sympathie. Sobald die Gebärmutter sich in den reifen Jahren vergrössert, schwellen auch die Brüste an; während die Gebärmutter den Samen gestaltet, bereiten die Brüste Milch zur Ernährung der Früchte; während der monatlichen Reinigung versiegt die Milch, fliesst sie jedoch wieder, so ist die Reinigung zu Ende; ebenso erschlaffen auch die Brüste bei Aelteren, wenn der Uterus sich zusammenzieht, und wenn der Embryo erkrankt ist, verkleinert sich ihr Umfang. Sehen wir bei Schwangeren, dass sich die Brüste zusammenziehen und schrumpfen, so sagen wir eine Fehlgeburt voraus.
§ 16. So ist die Gebärmutter beschaffen. — Die weibliche Scham heisst auch Scheide. Sie ist ein n ervenreiches Häutchen, ein Flohlcylinder, wie ein Darm, im Innern umfangreicher, nach
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aussen schmäler. Hier findet die sexuelle Vereinigung statt. Der innere Theil desselben grenzt an den Hals des Uterus wie bei den Männern die Vorhaut an die Eichel, der äussere an die grossen Labien, der untere an das Gesäss, die Seiten an die fleischigen Theile der Hüften, der obere Theil an den Hals der Blase. Denn dieser ragt, wie wir schon sagten, über den Mund des Uterus, verläuft längs der Scheide und mündet in die Harnröhre. Es zeigt sich nun die Mutterscheide unterhalb des Halses der Blase und oberhalb des Afters, des Schliessmuskels und auf dem Ende des Mastdarmes liegend. Wie wir gleichfalls schon behaupteten, schwankt ihre Grösse und zwar nicht nur im Verhältniss zum Alter oder zu dem ausgeübten Beischlaf, bei welchem sich der Hals des Uterus dehnt und zugleich mit dem männlichen Gliede einen Theil der Scheide einnimmt, sondern auch von Natur ragt bei manchen der Hals vor, bei anderen ist er ganz kurz. Bei der Mehrzahl der Erwachsenen misst sie 6 Finger. Mehr ab- geplattet ist sie bei den Jungfrauen, indem sie Falten hat, welche durch vom Uterus kommende Gefässe gebildet werden, und diese bereiten bei der Defloration Schmerzen dadurch, dass die Falten sich glätten; denn sie reissen und sondern das gewöhnlich (beim Coitus) fliessende Blut aus.
§ 17. Die Annahme ist entschieden falsch, es sei ein dünnes Häutchen so gewachsen, dass es die Mutterscheide versperre, dieses zerreisse bei der Defloration und verursache den Schmerz oder schon früher bei Eintreten der Menstruation; wenn es aber bleibe und stärker werde, verschulde es das Leiden, welches man Atresie (Verschluss) nennt. Denn erstens lässt es sich nicht anato- misch auffinden, zweitens müsste man bei der Untersuchung der Jungfrauen mit der Sonde auf Widerstand stossen, doch diese dringt im Gegentheil tief hinein. Drittens müsste, wenn bei der Deflo- ration das Häutchen reisst und Schmerz verursacht, nothwendiger Weise schon bei der Menstruation vor dem ersten Coitus bei den Jungfrauen heftiger Schmerz erfolgen, doch nicht mehr bei dem ersten Coitus. Ueberhaupt müsste, wenn das derber gewordene Häutchen Atresie verursachte, sich dieses stets an demselben Orte finden, ganz wie wir bei allen anderen Theilen jeden an seinem besonderen Platze sehen. Nun findet man aber bei den an Atresie leidenden das die Oeffnung versperrende Häutchen bald an den vorstehenden Labien, bald in der Mitte der Scheide, bald in der Mitte der Mündung der Gebärmutter.
§ 18. Die Mutterscheide ist aber aisobeschaffen. Die aussen sichtbaren Fortsätze kann man gewissermassen die Lippen der Scheide nennen. Sie sind dick und fleischig, erstrecken sich unten an beide Oberschenkel, als ob sie gewissermassen auseinander gerissen wären, und enden oben in der sogenannten Nymphe.
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Diese bildet den Anfangspunkt der beiden Schamlippen (Labia minora) und ist ihrer natürlichen Beschaffenheit nach ein Stückchen muskulöses Fleisch. Der Name Nymphe stammt daher, weil das Stückchen Fleisch sich gerade so schüchtern zurückzieht, wie Bräute (wftq>sv6fievai) zu thun pflegen. Unter der Nymphe ver- birgt sich noch wieder ein anderes Stück Fleisch, welches ein Theil des Halses der Blase ist und Harnröhre (Urethra) heisst; die innere faltige und rauhe Oberfläche heisst Lippe. Die Blase des Mannes unterscheidet sich aber von der des Weibes dadurch, dass jene grösser ist und einen gebogenen Hals hat, diese kleiner und geradhalsig ist.
Nachdem somit die Erörterung der weiblichen Geschlechts- theile beendigt ist, kommen wir zu den Funktionen der Gebär- mutter, welche sind: die monatliche Reinigung, Empfängniss, Schwangerschaft und die nach der Reife der Frucht erfolgende Geburt. Der natürlichen Ordnung folgend werden wir zunächst über die monatliche Reinigung sprechen.
Kapitel IV.
Die Menstruation1).
§ 19. Die Menstruation heisst „Emmenon“ und „Katamenion“, weil sie jeden Monat eintritt, und „Epimenion“, weil sie als Nahr- ung für die Früchte bestimmt ist, wie man ja auch den Proviant der Seefahrer „Epimenia“ nennt. Sie heisst auch Reinigung, weil nach der Behauptung einiger Forscher durch die Aussonderung des überflüssigen Blutes eine Reinigung des Körpers bewirkt wird. Das Monatliche besteht nun bei den meisten Weibern in reinem Blute, bei einigen in blutähnlicher Feuchtigkeit oder Blut- wasser, wie bei den vernunftlosen Thieren. Dieses ist alles natur- gemäss, da es ohne Beschwerden ausgesondert wird. Demnach ist das Monatliche zu definiren als Blut oder blutähnliche Flüssig-
l) Die Lehre von der Menses ist in diesem Kapitel in sehr vollständiger und kritischer Weise abgehandelt.
Nachdem die Synonymik erörtert ist, wird eine genaue Definition gegeben und die Blutqualität, das Alter des Eintrittes und der Cessation, Blutmenge, Dauer, Ein- fluss von Alter, Jahreszeit, Körperbau, Beschäftigung besprochen.
Der Einfluss des Mondes wird in Abrede gestellt.
Die physiologische Amenorrhoe und die Menses in graviditate werden in das Auge gefasst.
Zu vergleichen ist hier: Hippocrates, de natura pueri § 14. 1 und das VII. Buch der Thiergeschichte des Aristoteles (apokryph!) ferner Hippocrates, de morb. mulier. Lib. I. cap. 6 (wo die Angabe der Menge des ergossenen Blutes — 2 Kotylen, stimmt), (klassisch ist die Darstellung der alten Emmenologie in A. v. Hallers Eiern, physiolog. VII. 2. Pars. p. 137 — 177).
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keit welche zu ganz bestimmten Zeiten und zwar besonders durch den Uterus naturgemäss ausgesondert wird. Wir sagen: besonders durch den Uterus, weil die Reinigung bisweilen auch von der Scheide ausgeht.
S 20. Die Periode tritt in der Regel zum ersten Male um das 14. Jahr herum ein und zu gleicher Zeit mit der Reife und dem Wachsen der Brüste. Die Menge der Absonderung ist im Anfang o-ering; sie nimmt dann zu und, nachdem sie eine Zeit lang" auf derselben Höhe geblieben ist, wieder ab, um schliess- lich0 vollständig zu versiegen, was nicht vor dem 40. und nicht nach dem 50. Jahre zu geschehen pflegt. So ist es wenigstens in der Regel, ausnahmsweise dauert die Reinigung bei einigen auch bis zum 60. Jahre. Die Zu- und Abnahme geschieht jedoch nicht mit so exakter Regelmässigkeit , wie Diokles meint, der sagt, die Menstruation daure bis zum 60. Jahre, sei zuerst gering, erreiche den Höhepunkt, bleibe auf demselben eine gewisse Zeit, nehme dann im Verhältnis wieder ab und höre schliesslich ganz auf. Doch dies ist nicht immer so; die Zu- und Abnahme ist vielmehr bei den einzelnen Frauen verschieden und lässt sich nicht genau abgrenzen. In der Regel beträgt die Menge des abgesonderten Stoffes zwei Kotylen, bei welcher Massbestimmung wir wieder das Durchschnittsverhältniss im Auge haben.
§ 21. Die Reinigung dauert bei manchen nur einen Tag, bei anderen 2 Tage, bei einigen sogar bis zu 7 Tagen und darüber; die gewöhnliche Dauer jedoch ist 3 oder 4 Tage. Dieses geschieht monatlich, doch keineswegs genau, sondern nur annähernd, bald einige Tage früher, bald später. Die Reinigung vollzieht sich bei jedem Weibe zu einem besonderen Termine, sie fällt nicht, wie Diokles will, bei allen Frauen in dieselbe Zeit, noch, wie Empedokles behauptet, in die Zeit des abnehmenden Mondes. Bald findet sie vor dem 20. Tage bald am 20. Tage des Monats, bald wieder zur Zeit des zunehmenden bald zur Zeit des ab- nehmenden Mondes statt, manche wieder reinigen sich gewohn- heitsmässig (habituell) innerhalb einer gewissen Reihe von Tagen. (Manche haben den jedesmaligen Eintritt der Menstruation nach der Zählung der Tage bestimmt, als ob die normale Absonderung den 3. oder 4. Tag nicht überschreiten dürfe. Dies muss man verwerfen. Denn einerseits kann die Reinigung mehrere Tage dauern, indem sich ganz naturgemäss die gleiche AI enge Aus- fluss auf mehrere Tage vertheilt, andrerseits kann an einem ein- zigen Tage mehr, als normal ist, sich aussondern. Man kann da- gegen behaupten, dass die im richtigen A^erhältniss menstruirt haben, welche sich nach der Reinigung gestärkt fühlen, frei athmen, nicht aufgeregt und von ungeschwächter Kraft sind ; bei den übrigen kann man das Gegentheil annehmen.) Das Normale
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bei den geringeren und grösseren Entleerungen ergiebt sich je nach dem Alter und je nachdem mastige oder scharfe und kühlende Speisen genossen sind.
§ 22. Die Menge des Ausflusses ist von Natur ungleich und abhängig von dem Alter, der Jahreszeit, der Konstitution, der Beschäftigung, der Lebensweise und von anderen derartigen ver- änderlichen Umständen, da ganz naturgemäss bei manchen mehr, bei anderen weniger Blut abgesondert wird. Das Alter hat in sofern Einfluss, als die Reinigung sowohl bei denen, welche der Cessation nahe sind, als auch bei denen, bei welchen sie zum ersten Male auftritt, geringer ist. Ja bei diesen wird oft nur der nächste Umkreis der Gebärmutter feucht. Nur bei ganz wenigen und auch nur bei solchen, welche über die Blüte ihres Lebens hinaus sind, tritt vor der Defloration die Absonderung profuser auf, sonst verunreinigt sie nur die Umgegend. Die Jahreszeit ist von Bedeutung, indem der Ausfluss im Frühling stärker, im Sommer geringer, indem dann eine starke Ausdünstung durch den ganzen Körper geschieht, im Herbst wieder stärker als im Sommer und geringer als im Frühling, im Winter wieder geringer als im Herbst ist. Ferner ist die Absonderung bei den fetten und dicken Weibern geringer, da der Stoff durch die gute Ernährung des Körpers ganz aufgebraucht wird, bei den schmächtigen und mageren reichlicher. Denn was die Natur nicht zur Ernährung aufbraucht, um das vermehrt sich die Ausscheidung. Endlich ist noch die Art der Beschäftigung und die Lebensweise von Ein- fluss. Bei denen, welche ein müssiges Leben führen, ist die Aus- scheidung reichlicher, bei denen, welche dagegen sich viel be- wegen, ist sie geringer. So verringert sich die Menge auch bei den Gesanglehrerinnen und bei solchen, welche in der Fremde umherreisen, zumal wenn sie aus dem Binnenlande an die Küste kommen.
§ 23. Doch auch das Ausbleiben der Menstruation ist bisweilen physiologisch normal und zwar ganz abgesehen von dem Ivindes- und Greisenalter, auch in Folge von anstrengenden Uebungen im Gesang, wo der Stoff sich vertheilt und ganz aufgebraucht wird, oder bei männlichem Habitus, oder bei Rekonvalescentinnen, wenn der Stoff zur Wiederherstellung der Lebenskraft verwendet wird, oder schliesslich im Falle der Conception, wo das Blut zur Ernährung des Embryo dient. Bei manchen tritt auch noch nach der Empfängniss die Menstruation ein und zwar entweder aus der Scheide oder aus dem Halse des Uterus und den Seiten. Denn der Samen hängt nicht überall am ganzen Uterus, sondern nur an dem Grunde desselben. Bisweilen schwitzt nun Blut aus dem Theile hervor, an dem der Samen sich nicht festsetzt, und es tritt deswegen auch bei manchen eine Ueberschwängerung
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ein. Dass das Ausbleiben der Menstruation bisweilen ganz natur- gernäss ist, kann man kurz daran erkennen, dass es keine Be- schwerden zur Folge hat.
Kapitel V.
Die Zeichen der eintretenden Menstruation.1)
§ 24. Der Eintritt der Reinigung macht sich dadurch be- merkbar, dass man bei Herannahen der gewohnten Zeit Be- schwerlichkeit im Bewegen und Schwere im Becken spürt, zu manchen Zeiten Mattigkeit, Trägheit, Gähnen und Gliederspannen, bisweilen auch Röthe der Wangen, welche entweder andauert oder auch jäh verschwindet, um nach einiger Zeit wieder auf- zublühen. Bei manchen zeigt sich Geneigtheit zum Erbrechen und Appetitlosigkeit. Der erstmalige Eintritt der Reinigung ver- räth sich ausserdem noch durch das um das 14. Jahr herum ein- tretende Wachsen der Brüste, durch fühlbare Schwere in dem Hypogastrium und durch das Jucken der Pubes (Schamgegend.) Dies pflegen auch diejenigen zu erdulden, welche mit Gewalt zum Beischlaf genöthigt werden.
§ 25. Was nun die Pflege vor dem Erguss des Monatlichen betrifft, so soll man möglichst dazu beitragen, dass es sich vom 13jährigen Alter abwärts ganz von selbst und vor der Vermählung ergiesst. AVenn beim Coitus der Stoff sich auf die Geschlechts- theile sowohl beim Manne wie beim Weibe wirft, so ist Gefahr vorhanden, dass bei der ausscheidenden Thätigkeit eine starke
l)In den Koischen Prognosen (Littrö, Hippocrate V. 588) werden die Molimina also geschildert:
Fieberschauer, Mattigkeit, Schwere des Hauptes, Halsschmerz künden den Ein- tritt der Regeln an (Nr. 530 u. 537).
auops, gestatio = das Sichherumtragenlassen in einer Sänfte, vielleicht auch auf Rädern. Diese Art Körpermotion war bei den Alten beliebt und wurde be- sonders durch Asklepiades eingeführt und empfohlen (Plinius. Hist natural. Lib XXYI § 13).
rtsico!, Mutterzäpfchen (während ßiXavoi = Stuhlzäpfchen) eine sehr beliebte Applikationsform von Arzneien für die Gebärmutter. Ein Fragment des berühmten Chirurgen Antyllus (Oribas, II. 441, ed Daremberg) belehrt uns, dass dieselben nur für den Uterus bestimmt sind; es giebt erweichende, adstringirende , eröffnende. Man bereitet sie aus etrurischem Wachs, Alkanna-Oel, Gänsefett, Butter, gebranntem Harz, Plirschmark, Foenum graecum etc.
Man nimmt zusammengelegte Wolle, wie ein Charpiebausch , welche man in das Medikament taucht und dem Muttermunde applizirt. Zum Zwecke der bequemen Herausnahme wird ein wollener Faden angebunden.
Es entspricht der Begriff ziemlich unserem „Tampon“, auch den „Bacillen“ (Becquerel u A.), die intrauterin applizirt werden. Mit unsern Pessarien hat die Sache nichts zu schaffen.
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Congestion und Entzündung entsteht. Deswegen muss die Be- wegung sanft und gleichmässig sein; die Gestation (alojQa) darf andauernd betrieben werden, alle übrigen Turnübungen sind zu verwerfen; anzuempfehlen ist dagegen in Pausen stattfindendes Einreiben mit reichlichem Oel, tägliches Baden und jegliche Zer- streuung des Gemüthes. Denn mit diesem entspannt sich zugleich der Körper und entlässt ohne Schwierigkeit die Aussonderung, es müsste denn jemand durch fehlerhafte Erziehung verweichlicht sein. Denn zu dieser Zeit muss der Körper sich stark bewähren, damit nicht auch der Uterus zugleich mit erschlafft und in seiner eigenen Thätigkeit erlahmt.
§ 26. Sobald einmal beim Beginn der Menstruation die oben erwähnten Unannehmlichkeiten auftreten, ist möglichste Ruhe von Nutzen. Denn gleich wie die weinberauschten durch starke Bewegung in Krankheit verfallen und Leute mit Gehirn- congestion durch lautes Schreien den Kopfschmerz steigern , so wird auch die Gebärmutter, welche mit dem für die Reinigung bestimmten Stoffe angefüllt ist, durch Bewegung sympathisch in einen Zustand von Ermüdung versetzt. Aus demselben Grunde ist auch eine saftige und gleichmässige Nahrung und besonders noch die mit warmem Oel getränkten Mutterzäpfchen (Pessarien) zu empfehlen.
Diejenigen, welche bereits öfter sich gereinigt haben, soll man handeln lassen wie sie gewohnt sind. Sie können der Ge- wohnheit gemäss ruhen oder sich in mässigen Bewegungen er- gehen. Sicherer ist es zu ruhen und nicht zu baden, zumal am ersten Tage.
Bei denen aber, welche wegen des vorgerückten Alters über- haupt bald ganz authören werden zu menstruiren, soll man dafür Sorge tragen, dass dies nicht plötzlich auf einmal geschieht. Denn jede plötzliche Veränderung, auch die zum Besseren, schadet dem Köiper durch das Ungewohnte. Denn das Unge- wohnte wird schlecht ertragen und als Unbequemlichkeit em- pfunden. Was wir bei der ersten Menstruation vorschreiben, dasselbe müssen wir auch für die Zeit der Menopause anrathen. Denn so kann man auch die fehlende Menstruation noch hervor- rufen und noch viel leichter die noch vorhandenen Menses er- halten. Auch jetzt sind anzuempfehlen die lindernd wirkenden Mutterzäpfchen und die gleichermassen wirkenden Einspritzungen mit erweichenden Mitteln. In Fällen, wo die Reinigung die Kräfte zu untergraben droht oder wo sie widernatürlich innehält, muss man therapeutisch vorgehen , doch darüber wird in dem Abschnitt über die Pathologie die Rede sein.
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Kapitel VI.
Der Nutzen der monatlichen Reinigung1).
§27 Da man allen nützlichen Vorgängen Vorschub, allen nicht heilsamen Widerstand leisten muss, müssen wir auch hier- über Betrachtungen anstellen. Bei der vorliegenden Frage er- heischen zwei Punkte eine Beantwortung: einmal ist die Reinigung der Gesundheit heilsam? und dann, ist sie förderlich für die Kmder- zeuo-ung? Einige unter den früheren Forschern, welche Hero- p hfl os in seiner Schrift über volkstümliche Vorurteile erwähnt (medicin. Volksaberglauben), behaupten, die Reinigung sei sowohl für die Gesundheit als auch für die Kindererzeugung heilsam, Themis on und die Mehrzahl unserer Schule (methodische): sie diene nur zur Kindererzeugung, andere mit berühmteren Namen: sie sei weder für die Gesundheit noch für die Kindererzeugung von Nutzen. Herophilos und Mnaseas stellen auf Grund ab- weichender Beobachtungen die Ansicht auf, manchen Weibern sei die Menstruation gesund, manchen wieder schädlich. Erstere schliessen nun folgendermassen : als die Natur in ihrer weisen Fürsorge für die Menschen gesehen habe, dass die Männer durch anstrengende Arbeiten sich des überflüssigen Stoffes entledigen, die Frauen jedoch wegen ihrer häuslichen und sitzenden Lebens- weise eine Menge Stoff ansammeln, habe sie, um Gefahr abzu- wenden, die Vorkehrung getroffen, dass sie durch die Reinigung den überflüssigen Stoff ausscheiden können; wenn daher die Reinigung zu schwierig fliesse, erfolgen Kopfweh, Verdunklung der Augen, Schmerz in den Gliedern und in der Augenhöhle, und das gleiche Gefühl auch in der Hüfte und dem Unterleibe, Aufregung, Angst, Aufstossen, Wechsel von Frost und Hitze; alles dieses verschwinde wieder, wenn die Menstruation eintritt.
§ 28. Diesen nun ist zu entgegnen, dass man über die Zweck- mässigkeit der Natur verschiedener Ansicht und die Beantwortung
l) Das Buch des Herophilus ,,-po? ra? */otva? 00 62s“ wird nur von Soranus
citirt.
tpuoi; Ttpovo7]tt/.Tj' — hier zeigt sich der atomistische Standpunkt des Verfassers, gegenüber den teleologischen Ansichten der Stoa und des Aristoteles.
Die Ausdrücke „TCB'püuris“, floulSip = adstrictio, laxitas sind die Kommunitäten der Methodiker.
Mnaseas, berühmter Methodiker, nahm eine physiologische Zusammenziehung und Erschlaffung an, womit Dionysius, ein auch bei Galen (Isagoge cap. IV) ge- nannter Arzt derselben Schule übereinstimmte, während Soranus beide Kommunitäten als pathologisch auffasste.
Die Ansichten der Alten über die Bedeutung der Menstruation sind am be- quemsten bei Albr. v. Haller, Elementa physiologia. VII. b. p. 175 nachzulesen.
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jener Frage schwerer ist als die dieser, ob nämlich die Natur durch ihre Fürsorge den Appetit der Menschen derartig zu regeln vermag, dass sie nicht mehr Nahrung als noth wendig zu sich nehmen, oder verhindern kann, dass Üeberschuss entstehe. Denn wenn sie dafür sorgen kann, dass man das Ueberflüssige aus- sondert, so ist es auch ihre Pflicht zu verhindern, dass zu viel Stoff sich bildet. Wenn sie nun doch einmal in ihrer Fürsorge die Reinigung geschaffen hat, so that sie dies nicht zum Zweck der Erhaltung der Gesundheit, sondern zum Zweck der Kinder- erzeugung. Daher gab sie die Reinigung weder denen, welche noch nicht empfangen können, wie den kleinen Kindern, noch denen, welche nicht mehr zu empfangen fähig sind, wie z. B. den alten Frauen, sondern hob ausserhalb der Grenzen des Bedürf- nisses ihr Werk auf. Cessirt die Menstruation, so leidet der Körper wegen der Aufhäufung der Stoffe, durch welche der Monatsfluss gehindert ist. Deswegen scheint auch der Eintritt der Reinigung nicht zweckmässig, da er weder die Anhäufung noch eines ihrer Symptome wegnimmt, sondern erst, wenn die Anhäufung sich löst, auftritt, ganz wie die Aussonderung des Darmkothes und des Schweisses. Die Krankheit hat nichts mit der Gesundheit gemein; das was die Aufhebung eines Leidens herbeiführt, ist noch nicht zugleich auch für die Erhaltung der Gesundheit förderlich. Der Aderlass z. B. löst die Verstopfung des Blutes, dient aber nicht zugleich zur Erhaltung der Gesundheit.
Die Forscher, welche behaupten auch nicht einmal für die Kindererzeugung wirke die Reinigung nützlich, sagen so: die Reinigung entsteht, wenn die Gebärmutter eitert, jedes Geschwür aber ist pathologisch, kein pathologischer Zustand erzeuge Normales, könne also auch nicht die Empfängniss fördern; allerdings empfangen manche, die noch gar nicht menstruirt haben, und wieder andere, die vor der Reinigung empfangen, menstruiren nach der Conception. Auch die Ansicht dieser Leute ist zu verwerfen. Denn nicht dadurch, dass die Gebärmutter schwärt, entsteht die Reinigung, sondern in Folge von Durchsickern von Blut aus den Blutgefässen und von Durchschwitzen, wie ja auch das Zahnfleisch, wenn daran gerieben wird, ohne Geschwürs- bildung blutet und wie wir ja auch bei den nicht komplizirten Frakturen die Binden beim Abnehmen derselben blutgetränkt finden. Dass aber die Empfängniss auch ohne jede vorhergehende Reinigung stattfinden kann, ist einfach nicht wahr. Denn ge- schieht die Reinigung auch nicht durch Blut, so doch sicherlich durch irgend einen andern flüssigen Stoff, wie bei manchen Thieren. Nach der Empfängniss menstruiren aber manche aus anderen Körpertheilen, wie wir oben bewiesen haben, als aus denen, an welchen der Samen haftet.
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§ 2g. H er o philos ist der Ansicht, dass die Reinigung für manche Frauen schädlich wirke, denn manche erfreuen sich bei Amenorrhoe ungestörter Gesundheit und werden oft im Gegen- theil durch die Reinigung blass und mager und beginnen zu leiden, dass sie andrerseits für manche auch nutzbringend sei, sodass bei ihnen an Stelle der früheren Blässe und Magerkeit nach der Menstruation ein blühendes und wohlgenährtes Aus- sehen tritt. Mnaseas meint, manche hätten eine starke, manche eine schwache Natur und letztere besitzen bald eine straffe bald eine laxe Konstitution; für diejenigen nun, die eine straffe Faser besitzen, sei die Reinigung gesund, für diejenigen, welche eine schlaffe (laxe) Faser besitzen, dagegen ungesund, ganz wie auch der Aderlass nur den an Straffheit Leidenden Eröffnung verschafft, dagegen den an Ausflüssen (durch Laxität) Leidenden die Ab- führung noch verstärkt. Dies hat er dem Dionysios entlehnt, dass er von einem naturgemässen Straffen und Laxen spricht, was eben nicht gesund ist, wie in dem zweiten Buche über die Kommunitäten erwähnt ist. Die normale Straffheit ist sicherlich harmloser als die kleinste pathologische Straffheit. Wie nun der Aderlass nicht nur den an Ausflüssen Leidenden, sondern auch den an geringer Straffheit Leidenden nachtheilig ist, weil mehr Schaden dadurch entsteht, dass Kräfte zum Ersatz ver- wendet werden, so dürfte auch die Reinigung nicht nur denen, welche physiologisch eine laxe Faser besitzen, sondern auch denen, ■welche von Natur eine straffe Konstitution haben, schaden. Ihm wie auch zugleich dem Herophilos ist zu erwidern, dass die Reinigung in jedem Falle gesundheitlich schadet, nur tritt dies mehr bei denen, welche für Krankheiten empfindlicher sind, als bei denen hervor, deren Körper Krankheiten grossen Widerstand zu leisten vermag. Man kann beobachten, dass gerade die Mehr- zahl derjenigen, die nicht menstruiren, recht kräftig ist, wie z. B. die Viragines und die unfruchtbaren Frauen. Wenn im höheren Alter die Reinigung aufhört, so schadet dies der Gesundheit durchaus nicht, überhaupt macht die Entziehung des Blutes die meisten noch weichlicher. Auch sind die Jungfrauen, welche noch nicht menstruirt haben, keineswegs in ihrer Gesundheit dadurch benachtheiligt. Wenn diese aber sich andauernder Gesundheit erfreuen, so kann^die Reinigung nicht zur Gesundheit beitragen, sondern nur zur Kindererzeugung. Denn ohne Menstruation giebt es keine Conception.
Soranus, Ueber die Krankheiten des weiblichen Geschlechtes.
IS
Kapitel VII.
Ist dauernde Jungfrauschaft der Gesundheit
zuträglich1)?
§ 30. Die Frage, ob dauernde Jungfrauschaft der Gesund- heit zuträglich ist, bejahen manche, andere verneinen sie. Die ersteren sagen, der Körper leidet unter den sinnlichen Trieben. So sehen vielfach die Liebenden blass, schwach und mager aus; die Jungfrauschaft kennt aber die Liebe nicht und hat daher auch kein Verlangen danach. Ferner schadet jeder Samenerguss den Frauen in demselben Grade wie den Männern; somit ist die Jungfrauschaft gesundheitlich heilsam, da sie den Samenerguss hindert. Als Beweis dienen auch die unvernünftigen Thiere. Stuten, welche nicht belegt sind, laufen besser; Säue, denen die Gebärmutter ausgeschnitten ist, werden grösser, fetter und stärker, ihr Fleisch so fest wie bei den männlichen Schweinen. So ist es offenbar auch bei dem Menschen. Denn da unter den Männern gerade die, welche unschuldig bleiben, stärker und grösser sind als andere und sich einer besseren Gesundheit in ihrem ganzen Leben erfreuen, ist folglich auch in gleicher Weise dem weib- lichen Geschlechte die Erhaltung der Jungfrauschaft^ gesünder. Denn die Conceptionen und Geburten nehmen den Körper der Weiber arg mit und lassen ihn schnell hin welken, daher muss man mit Recht den Zustand der Jungfrauschaft, der das weib- liche Geschlecht vor jenen Schädlichkeiten bewahrt, als gesund bezeichnen.
§ 31. Die Forscher, welche entgegengesetzter Ansicht sind, behaupten dagegen, das Verlangen nach Liebe sei nicht nur den Frauen, sondern' auch den Jungfrauen eigentümlich. Bei einigen Jungfrauen mache sich das Verlangen lästiger bemerkbar als bei Frauen, da ja das Verlangen nur in dem Beischlaf,, nicht in der Entsagung seine Befriedigung finde. Das Verbleiben in dem Stande der Jungfrauschaft hebt jedenfalls den sinnlichen Ineb nicht auf. Man sagt auch, der Samenerguss sei an und tur sich weder beim männlichen noch beim weiblichen Geschlechte schäd- lich, sondern erst, wenn er ohne Maass stattfindet.. Bei andauern- dem Samenerguss leidet der Körper, dagegen ist die Samen-
1) onsouaTO? ev.xpwi; Aussonderung des Samens. Die Alten nahmen ein Semen muliebre an" Die Frage wird noch durch A. v. Haller in einem eigenen Kapitel ventilirt (Elementa physiolog. VIII, pag. 24 § XIII Nun, lemmae suum semens.) Hippocrales («01 vovn;, apocryph) nahm weiblichen Samen an , ebenso Democrii, Anaxagoras bis' aJf (de Semine Lib. 1) , welcher die Beobachtung an einer
Wittwe machte. Auch de usu partus Lib. XIII cap. XI ivird die Lehre '° muliebre breit abgehandelt, wobei jedoch kein Eipfiuss dieses Fluidums auf die Zeugung angenommen wird. (Excret der Glandula Bartholim.
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aussonderung heilsam, wenn sie nach Pausen geschieht, insofern als dadurch das Gefühl von Schwere in der Bewegung und die Verstimmung (des Kehlkopfs) aufgehoben wird. Viele bewegen sich wenigstens nach dem Coitus leichter und gehen stolzer. Manche sagen, die Verschwendung des Samens sei schädlich, denn sie bewirke Schwäche und schade schon so; wenn der Coitus aber nur wenig und zur rechten Zeit stattfinde, so nütze er sogar zu etwas, nämlich zu einer leichten Menstruation. Wie nämlich die Bewegung des ganzen Körpers Schwitzen zu verursachen, Ruhe jedoch es zu dämmen und zurückzuhalten pflegt und wie eine rednerische Kraftanstrengung in höherem Grade Aussonderung des Speichels verursacht, der gewissermassen dem Hauche auf dem Fusse folgt, so bewirkt auch die häufige Anstrengung der weiblichen Geschlechtstheile bei den Liebeswerlcen eine gleich- zeitige Erschlaffung des ganzen Körpers. So wird auch die Gebärmutter locker und die Menstruation kann ungehindert vor sich gehen. So haben viele während einer langen Wittwenzeit nur tropfenweise und unter Mühen, nach einer Wiederverheiratung jedoch wieder ohne Schwierigkeit menstruirt. Die castrirten Säue werden allerdings fetter, doch dies kommt daher, weil sie kein inneres Organ haben, welches die Funktion der Menses ausübt. Wenn einer, der überhaupt keine Füsse hat, auch nicht an Podagra leiden und ein Blinder nicht schielen kann, da das Organ als Sitz der Krankheit fehlt, ebenso können natürlich auch die, welche überhaupt keinen Uterus haben, nichts von den Be- schwerden spüren, die durch ihn veranlasst werden. Die Jung- frauen haben nun aber eine Gebärmutter. Wenn sie sich also ganz der Umarmung enthalten, so ist zu befürchten, dass die Thätigkeit der Gebärmutter bei ihnen ganz aufhört. Wenn andrerseits behauptet wird, dass mit der Enthaltung vom Coitus auch die Nachtheile des Gebäraktes wegfallen, so sagen sie da- gegen, dass der Nachtheil der Enthaltsamkeit doch insofern viel grösser ist, als die Menstruation erschwert ist. Solche werden sicherlich fett und körperlich umfangreich, da der Stoff sich all- mählich aufhäuft, der eigentlich durch die Reinigung aufgebraucht werden sollte. Demnach ist also die Jungfrauschaft im Allge- meinen schädlich.
§ 32. In dieser Weise suchen beide Ansichten ihre Be- rechtigung zu beweisen. Wir meinen jedoch, dass dauernde Jungfrauschaft der Gesundheit förderlich ist, weil der Coitus überhaupt schädlich ist, wie ich bereits in meinem AVerke über die Gesundheit ausführlich erörtert habe. Wir sehen ja auch, dass unter den weiblichen Thieren die am Coitus gehinderten die stärkeren sind, und dass diejenigen Weiber den Krankheiten grösseren AViderstand leisten, welche durch gesetzliche oder religiöse Rücksichten dem Coitus ferngehalten und zur Bewahrung
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der Jungfrauschaft gezwungen werden. Dass aber bei diesen die Menstruation nur schwierig vor sich geht und dadurch vielfach ein fetter und dicker Körper erzeugt wird, das hat seinen Grund in der Trägheit und Ruhe des Körpers. Denn da die Mehrzahl dieser in ihren vier Wänden unter Obhut gehalten werden, ent- behren sie auch der körperlichen Uebungen und demnach auch des hieraus entspringenden Wohlbefindens, dagegen befallen sie die oben erwähnten Beschwerden.
Es ist somit zwar die beständige Bewahrung der Jungfrau- schaft für beide Geschlechter gesund, aber das allgemeine Natur- gesetz, nach welchem beide Geschlechter bei der Erzeugung der Nachkommenschaft mitwirken sollen, setzt die sexuelle Ver- mischung voraus. Doch darüber wird demnächst die Rede sein.
Kapitel VIII.
Wie lange muss das Weib die Jungfrauschaft
bewahren1)?
§ 33. Da der Mann nur Samen entleert, so erwächst ihm keine Gefahr aus dem ersten Coitus; da düs Weib aber ausser- dem noch den Samen aufnehmen und als’ Grundstoff zu einem neuen Geschöpfe empfangen muss, ist Gefahr vorhanden, dass sie zu früh oder zu spät als für diesen Zweck zuträglich ist, deflorirt wird. Daher müssen wir auch diese Frage in Erwägung ziehen.
Manche sind der Ansicht, das Weib solle zweckmässig so lange Jungfrau bleiben, bis sich der Drang zur Vermischung geltend mache. Denn die Natur selbst hat Thieren und Menschen Anreize und Triebe eingepflanzt und in Bewegung gesetzt, die sich bemerkbar machen, wann die Begattung naturgemäss ein- treten soll, indem der Körper dann heftig nach dem Genuss der Liebe verlangt. Diese übersehen aber dabei, dass nur die Thiere sich allein durch die Natur und Zufall bestimmen lassen, von sich selbst aus aber nicht zur Erweckung der Begierden bei- tragen. Daher ist auch ihnen grösstentheils der Termin zur
l) Das von einem unbekannten Sophisten verfasste Buch: de virginum m orbis (Littrb, Hippocrate VIII, 467), schildert maniakalisclie ekstatische Zustände bei Mädchen, gegen welche die Vermählung empfohlen wird.
Die Gefahren der Geburten älterer Primiparen hat die Neuzeit vollauf bestätigt (Rumpe, Archiv d Gynäk. NX, 117. — Ahlfeld, ebenda IV, 510 — Cohnstein, ebenda 499. — Win ekel, Berichte 1876, 2. Bd. pag. 229 — 237.
Das Wort pppa gebe ich mit „Bärmutter“. Man sehe hierüber Hyrtl, die alten deutschen Kunstworte der Anatomie 1884 pag. 17. — Grimm, Deutsche Mythologie int (neue Ausgabe 969).
Stazopiuaic = Defloration, wird edler mit Vermählung übersetzt als mit Ent- jungferung.
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Brunst vorher fest bestimmt, bei den Menschen steht er aber keineswegs sicher fest, indem die Phantasie oft durch ungewohnte üppige Vorstellungen erregt wird. Da ja Jungfrauen, welche nicht züchtig erzogen sind, eben wegen der mangelhaften Er- ziehung zu früh Begierden hegen, kann man sich auf jene Triebe nicht verlassen. Vielmehr ist es förderlich, so lange in dem Zu- stande der Jungfrau zu beharren, bis die Menstruation von selbst eintritt. Denn dies beweist, dass der Uterus bereits fähig ist, die ihm zukommende Thätigkeit auszuüben, wozu auch die Con- ception gehört, wie ich oben erläuterte. Es besteht Gefahr, dass Empfängniss stattfindet, solange die Gebärmutter noch nicht ganz entwickelt ist; dann wird der Fötus bei dem Wachsthum des Fruchthalters gedrückt (indem die Gebärmutter mit dem Embryo im Wachsen nicht Schritt halten kann) und geht so entweder ganz zu Grunde oder verliert seine eigentümliche Gestalt oder versetzt auch zur Zeit der Geburt die Gebärende in die höchste Gefahr, indem er durch die engen und noch nicht reifen Ge- schlechtsteile um den Muttermund hindurchtritt. So kommt es auch vor, dass manche Früchte Mangel an Nahrung leiden, indem die Gebärmutter noch nicht mit genügend grossen Blutgefässen durchzogen ist, sondern nur solche hat, welche ganz dünn sind und nicht das zur Ernährung der Frucht nötige Blut verschaffen können. Die Menstruation tritt nun zum ersten Male in der Regel um das vierzehnte Jahr herum ein. Dies ist eine natur- gemässe Erscheinung, die auch den richtigen Zeitpunkt der Ver- heiratung anzeigt. Nicht ganz ohne Gefahr ist andrerseits die Verheiratung, wenn sie erst in späten Jahren stattfindet. Denn auch der Gebärmutterhals bleibt ganz ebenso wie die männlichen Geschlechtsteile in unentwickeltem Zustande, wenn er die sexuellen Funktionen nicht ausübt. Wenn sich nun der Samen in dem Raume der Uterushöhle geformt hat und zum lebenden Wesen gebildet ist, so können grosse Beschwerden, ja Lebensgefahr dadurch entstehen, dass bei der Geburt die Frucht durch den engen Hals nicht durchkommen kann. Nach diesen Erwägungen ist demnach die Zeit, in welcher das zur Zeugung bestimmte Organ die Fähigkeit gewinnt eine Empfängniss zu ertragen, auch am geeignetsten zu der Vermählung.
Kapitel IX..
Die Zeichen der muthmasslichen Fruchtbarkeit1).
§ 34. Da die grosse Mehrzahl der Ehen nicht um der Wollust willen, sondern der Erzielung von Nachkommenschaft wegen ge- schlossen jwird, ist es ganz sonderbar, dass man dabei mehr aut
b Hierzu vergleiche man das Buch de sterilibus (Littre, Hippocrates Vlir, 408).
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ahnenreiche Abstammung und Vermögen Gewicht legt, statt zu berücksichtigen, ob die Frau zur Conception fähig und zum Ge- bären gut gebaut ist. Hierüber müssen wir noch Einiges sagen. Die wahrscheinliche Fruchtbarkeit setzt ein Alter von 15 bis höchstens 40 Jahren voraus; die Frauen dürfen nicht viragines (= Mannweiber), dick und derbknochig, aber auch nicht schlaff und lymphatisch sein, denn der Uterus, der mit dem ganzen Leibe in Sympathie steht, könnte bei zu grosser Härte leicht die Aufnahme des Samens verhindern oder bei zu grosser Erschlaffung und Schwäche ihn wieder ausfliessen lassen; der Uterus darf weder zu feucht noch zu trocken, weder zu weit noch zu eng sein; die Reinigung muss normal mit Blut geschehen, nicht mit irgend einem abnormen leukorrhöischen Ausfluss, auch darf dabei das Blut weder in zu grossen noch in zu kleinen Mengen fliessen ; der Muttermund muss weit vorne und in gerader Richtung liegen; denn wenn er schief und zu nahe am Schosse liegt, ist er weniger zum Ansaugen und zur Aufnahme des Samens befähigt. Auch müssen die Weiber leicht verdauen und dürfen nicht habituellen Durchfall haben, müssen ruhigen Gemüthes und immer heiter sein. Denn andauernde Dyspepsie erschwert die Empfängniss und der Durchfall lässt den aufgenommenen Nährstoff nutzlos wieder ab- gehen. Trauer und Leidenschaft aber stossen durch die Störung der Respiration das Produkt der Empfängniss wieder aus.
§ 35. Die fruchtbaren Weiber zeigen nach der Ansicht einiger Forscher weder Trauer noch Freude im Angesicht. Sie halten diejenigen, welche die Farbe schnell — zumal ins Dunkelrothe — wechseln , für weniger entsprechend. Denn solche besässen zu grosse Hitze, welche sie einerseits von sinnlicher Lust ferne halte und dunkelroth färbe, andrerseits auch gewissermassen den Samen vertrocknet und vernichtet. Diokles giebt als ein ziemlich sicheres und als erstes Zeichen der Fruchtbarkeit an, wenn die AVeiber an der Hüfte und in den AVeichen recht fleischig und breit, sommersprossig, dunkelblond (rothblond) sind und ein männ- liches Aussehen haben, unfruchtbar dagegen seien die, bei denen dies nicht zuträfe, welche zu mager, zu dürr oder zu fett, zu alt oder viel zu jung seien. Das sicherste Zeichen gewänne man aus der Anwendung von Suppositorien wie z. B. Harz, Raute, Knoblauch, Koriander. Wenn der Geruch dieser Stoffe zum Munde heraus käme, so könne man Fruchtbarkeit konstatiren, im entgegengesetzten Falle sie leugnen. Euenor und Euryphon liessen die Frauen auf dem Geburtsstuhl Platz nehmen und räucherten mit denselben Mitteln. Alles dieses ist Schwindel. Man kann fruchtbar sein, ohne dass man an der Plüfte sehr fleischig ist, auch die Suppositorien sind trügerisch, da deren Eigenschaften auch durch die hypothetischen Poren hinaufdringen können und so keinesfalls die Fähigkeit zu empfangen voraus-
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setzen. Auch Asklepiades behauptet, wenn man jemand, der ein Geschwür am Schenkel habe, die Rautensalbe auflegc, so werden deren Eigenschaften von dem kranken Körper angezogen und vertheilen sich. Vor allem muss man zu erforschen suchen, ob die Frau am ganzen Körper und an der Gebärmutter gesund ist. Denn wie der dürftige Boden die Saat nicht reifen und Früchte nicht hervorzubringen vermag, sondern vermöge seiner schlechten Qualität die guten Eigenschaften der Pflanzen und Samen verdirbt, so vermögen auch beim Weibe abnorme Organe den in sie gedrungenen Samen nicht zu behalten, sondern ihre eigene Krankheit zieht auch die Frucht mit in Krankheit und Verderben. •
Kapitel X.
Ueber die zur Conception passendste Zeit der Begattung l).
§ 36. Wie der Boden nur zu einer bestimmten Zeit die Saat empfängt und Früchte trägt, so ist auch bei den Menschen nicht zu jeder Zeit ist der Beischlaf zur Aufnahme des im Akte er- gossenen Sperma geeignet. Damit die Begattung Erfolg habe, muss sie zur günstigen Zeit geschehen, und so ist es nöthig, diese Zeit näher zu bestimmen. Der Beischlaf, welcher zur Conception führen soll, findet am besten zur Zeit der abnehmenden und auf- hörenden Menstruation statt, wo Verlangen nach der Umarmung vorhanden ist, wann der Körper weder ganz nüchtern noch voll von Getränken und unverdautem Inhalt ist, sodann auch zur Zeit der erfolgten Unction des Körpers, wenn nur ein geringer Im- biss genommen ist und bei allgemeinem Wohlbefinden.
Wir sagten zunächst: zur Zeit der abnehmenden und auf- hörenden Menstruation. Denn die Zeit vor der Menstruation ist ungeeignet, da dann der Uterus arg durch den Andrang des
i) Die Hygiene der Suvoutna wurde von den Alten sorgfältig erörtert. Zur weiteren Orientirung dienen:
Galen, Ars medica. Kap. XXIV.
Rufus, ed. Ruelle. pag. 318.
Oribasius ed. Daremberg et Bussemaker I, 540 (nach Rufus) und 668 mit werthvollen Excerpten.
Hippocrat. de Superfötatipne (Littrö VIII 495) de Sterilibus Littre VIII, 408.
Aristoteles, Problem III, 33. Es wird ein starkes Frühstück, dagegen eine kleine Coena empfohlen.
Palladius, Comment. ad. Epidem. VI, 5 (ed. Dietz).
Unction ('ArtollspaTuo) , Galen, de sanitate tuenda III wurde als eine Art Massage zur Förderung der Digestion vielfach angewendet. Oribasius I 482 (nsoc Tpt'iiuj; dnollipaTt£v-t-/.fj;). ‘
Herrschervon Kypros, Galen, de Cheriaca ad Pisonem (K ü h n XIV, 253).
Pneuma. Die Methodiker betrachteten den Pneumatiker Athenaeus als einen der Ihrigen.
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Stoffes beschwert ist und zwei entgegengesetzte Thätigkeiten entfalten müsste, nämlich den einen Stoff ausscheiden und den anderen in sich aufnehmen, was unmöglich ist. Wie nämlich der mit irgend einem Stoffe beschwerte Magen bei Unwohlsein wohl die Last durch Erbrechen von sich wirft, aber gegen Aufnahme neuer Speise sich sträubt, ganz ebenso entleert auch die volle Gebärmutter zur Zeit der Menstruation gerne das in ihr zusammen- geflossene Blut, nimmt aber nicht zugleich den Samen auf und behält ihn. Aber auch die Anfangszeit der Menstruation ist wegen der allgemeinen Anstrengung ungeeignet, ebenso die folgende Zeit der Zunahme und des Höhepunktes, weil dann der Samen durchnässt und mit dem ausgesonderten Blute weg- geschwemmt wird. Wie nämlich jede Wunde bei erfolgendem Bluterguss sich nicht schliesst, sondern, abgesehen von einer momentanen Verklebung, nach Eintritt der Blutung wieder aus- einander klafft, so kann auch der Samen nicht in der Uterushöhle ankleben, sondern wird von dem herausströmenden Blutstoffe aus- gestossen. Die einzig geeignete Zeit zur Befruchtung ist die der nachlassenden Menstruation, dann ist die Gebärmutter entlastet und Wärme und Feuchtigkeit stehen in harmonischem Verhält- nisse. Doch ist wiederum die Anklebung des Samens unmöglich, wenn nicht die Gebärmutter vorher wieder rauh geworden und gewissermassen in der Höhle ausgereinigt ist. Wie bei Kranken die Speise, welche zur Zeit des Nachlassens der Krankheit ge- nommen ist, vor dem Anfalle behalfen, aber bei einem Anfalle wieder erbrochen wird, so wird auch nur der Samen ganz sicher festgehalten, welcher zur Zeit der abnehmenden Menstruation eingedrungen ist. Wenn nun auch manche schon zu einer anderen Zeit und zumal, wann die Reinigung nur gering floss, concipirten, so kann man doch von diesen Ausnahmen abstrahiren und den aus der Theorie der Kunst genommenen Termin annehmen.
§ 37. Wir behaupteten ferner, es müsse Trieb und Verlangen nach einem Coitus vorhanden sein. Wie der Mann nicht ohne den Trieb zum Samenerguss kommen kann, so kann auch das Weib nicht ohne ihn concipiren. Wie die Speise, welche ohne Appetit oder gar mit Widerwillen genossen wird, nicht in ge- höriger Weise oder auch gar nicht verdaut wird, so kann auch der Samen nicht aufgenommen werden und die Schwangerschaft herbeiführen, wenn Lust und Neigung zum Coitus fehlt. Wenn trotzdem manche nach einer Vergewaltigung schwanger wurden, so kann man dennoch dreist behaupten, dass auch bei diesen das Verlangen vorhanden und nur momentan durch psychische Aufregung übertäubt war, wie ja auch bei Leidtragenden viel- fach Appetit vorhanden ist, diesen aber die Trauer wegen des Unglücks nicht aufkommen lässt; später wenn das Gemüth sich beruhigt hat, werden sie vom Hunger zur Nahrung gezwungen.
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§ 38. Die richtige Zeit zur Liebeslust (Brunst), um Befruchtung herbeizuführen, ist, wenn der Leib weder nüchtern noch voll ist. Die Lust zum Coitus genügt nicht, es muss sich der Körper in passender Verfassung befinden. Wie wir nämlich häufig auch dann, wenn die genossenen Speisen unverdaut und verdorben im Magen liegen, noch zu neuer Nahrung Appetit haben und, falls wir diesem Verlangen nachgeben, diese Nahrung auch noch ver- derben, so beweist das Verlangen nach dem Coitus noch nicht, dass die rechte Zeit dazu vorhanden ist, sondern es muss auch das Uebrige berücksichtigt werden. Denn diegeilen und liederlichen Dirnen haben immer Lust zur Begattung. Der Körper darf nicht schwach und matt sein, denn naturgemäss zieht der ganze Körper auch seine Theile in Mitleidenschaft. So ist es wahrscheinlich, dass eine schlaffe Gebärmutter auch ihre Funktionen nur in dürftiger Weise ausübt, und die Conception ist eine Funktion der Gebärmutter. Somit soll man den Beischlaf nicht ausüben, wenn der Körper sich schwach fühlt oder wenn er (schwer) voll ist, wie z. B. bei Anfüllung mit unverdauten Speisen und in der Trunkenheit, und zwar erstens weil der Körper nur in normaler Verfassung seine Funktionen zu verrichten vermag; in normaler Verfassung ist er aber nicht zur Zeit der Anfüllung oder Trunken- heit. Wie jede andere natürliche Funktion, so kann auch die des Concipirens in solchem Zustande nicht stattfinden. Zweitens darf der Körper nicht schwach oder beladen sein , weil er den auf- genommenen Samen auch ernähren muss. Die Nahrung zieht er aber aus dem zuströmenden Blute und dem Pneuma; in der Trunkenheit und bei Unverdaulichkeit wird auch jeder Athemzug mit verunreinigt und verdorben. Es ist also Gefahr vorhanden, dass bei Verabreichung schlechter Nahrung auch der Samen schlecht wird. Ferner kann durch die Trunkenheit ein Ueber- mass von Stoff entstehen und dieses das Festwachsen des Samens im Uterus hindern. Denn wie bei den Trunkenen der Wein durch das häufige Aufsteigen der Gase das Zuwachsen von Wunden erschwert, ganz ebenso wird aus gleichem Grunde das Ankleben des Samens gestört.
§ 39- Wunderbarer weise hat auch der Zustand der Seele Einfluss auf die Gestaltung des Empfangenen. So wurden solche, die im Augenblicke des Coitus Affen sahen, mit affenähnlichen V esen schwanger. Ein missgestalteter Herrscher von Kypros zwang seine Gattin während des Coitus auf sehr schöne Statuen zu blicken und erzeugte so schön gestaltete Kinder. Die Pferde- züchter stellen beim ßespringen vor die Stuten edle Thiere. Auf dass nun nicht eine Missgeburt dadurch geschehe, indem die frunkenheit der Seele hässliche Bilder vorspiegelt, sollen die krauen nüchtern sein, und dieses auch aus dem Grunde, weil die inder der Mutter sowohl körperlich wie geistig ähnlich werden.
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So wird einer Frau von stetigem Gemüthe, die nicht aus Trunken- heit wahnsinnig ist, auch ein gleiches Kind geboren. Es ist ganz unsinnig bei den Menschen anzunehmen, dass die Natur schon für sich die Erzeugung schön gestalte, wenn auch der Samen sich in Körper ergiesst, welche übermässig feucht und über- schwemmt sind, während man doch sieht, dass der Landmann seine Saat nicht auf feuchtem und sumpfigem Boden ausstreut.
§ 40. Nächst diesen wird als günstig die Zeit nach der Salbung mit Oel angegeben, wenn nur ein geringer Imbiss ge- nommen ist. Dieser wird dann heftigen Drang zum Coitus her- vorrufen, indem die Lust zur Umarmung nicht durch Verlangen nach Speise gehemmt ist, während die Salbung mit Oel das Fest- halten des geflossenen Samens vorbereitet. Wie die Salbung die vollständige Verdauung der Speise fördert, so unterstützt sie auch das Aufnehmen und Festhalten des Samens. Sie bewirkt, dass sich der Körper von den Ueberbleibseln der gestrigen Speise entlastet und durch Reinigung sich in normales Wohlbefinden versetzt. Wie auch der Landmann erst säet, wenn er den Boden durch Reinigung und Ausrodung fremder Gewächse gehörig präparirt hat, so rathen auch wir, erst nach vollzogener Salbung die Besamung zum Zwecke der Zeugung vorzunehmen.
Wenn wir nun in dem Buche über die Hygiene behaupteten, die beste Zeit zum Coitus sei die vor der Salbung, so widerspricht das dem oben Gesagten nicht. Denn dort war im Allgemeinen von jeder Art Coitus und von Männern die Rede, hier aber im Besonderen davon, wie das Geschäft der Kindererzeugung am besten zu betreiben sei. Denn wie das Salben an sich nach der Aufregung des Coitus gesund ist, so ist es auch angemessen zum Zwecke der Festhaltung des Samens der Ruhe zu pflegen.
§ 41. Einige alte Aerzte bestimmten auch den Termin nach äusseren Zufälligkeiten. So hielten sie die Zeit des \ ollmondes für besonders günstig. Denn die irdischen Dinge ständen im Connex mit den kosmischen; wie die meisten Meeresgeschöpfe zur Zeit des Vollmondes fett, zur Zeit des abnehmenden Mondes schlecht genährt seien und wie die Leberlappen der Hausmäuse zur Zeit des Vollmondes grösser, kleiner zur Zeit des abnehmenden Mondes seien, so sei bei uns und auch bei den Thieren die dem Samen innewohnende Kraft zur Zeit des Vollmondes bedeutender als zur Zeit des abnehmenden Mondes. Ferner sei zur Erzielung der Conception ganz besonders die Frühlingszeit geeignet. Denn im Winter würde der Körper hart und fest und der Samen zur Empfängniss wenig brauchbar; träte sie doch ein, so bliebe der Samen ohne Nahrung, ganz ebenso wie es der Saat in der Erde erginge, die ebenfalls im Winter nicht hervorschiessen könne. Unter den Thieren gedeihen wenig die im Winter geborenen.
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Der Sommer dagegen lasse durch grosse Verdunstung alles welken, den Samen, die Geschlechtstheile und überhaupt den ganzen Körper.
Doch dies wird durch die Thatsachen selbst ohne weiteres widerlegt. Denn zu jeder Zeit konstatiren wir den Eintritt von Conception und Geburt. Wenn einige, sich im Sommer, andere im Winter weniger wohl befinden, so ist daran nicht ehe Jahre zeit, sondern die Körperkonstitution schuld. Im Allgemeinen empfehlen wir die Zeit, wo sich der Körper weder zu leer noci zu voll, sondern in jeder Beziehung wohl fühlt. Wenn aber unser körperliches Befinden von dem Mondwechsel abhängig wäre, so hätten wir dies jedenfalls auch schon bemerkt wie bei den Mäusen und Austern. Da nun eine derartige Beobachtung bis jetzt nicht hat gemacht werden können, ist diese Lehre trotz ihres glaubwürdigen Scheines als falsch zu verwerfen.
K apitel XI.
Ist die Conception der Gesundheit zuträglich?
§ 42. Manche sind der Ueberzeugung, die Conception sei gesund, weil jede natürliche Thätigkeit heilsam sei, und die Conception sei eine natürliche Thätigkeit. Ferner würden manche, die nur schwierig menstruirten und von Druck im Uterus gequält würden, nach der Empfängniss von diesen Leiden befreit.
Dagegen ist zu erwidern, dass auch die Menstruation eine physiologische Funktion und trotzdem nicht gesund ist, wie wir bereits erörterten. Das, was nützlich ist, ist darum noch nicht immer gesund. Freilich sind Menstruation und Conception für die Entstehung der Menschen förderlich, trotzdem sind sie der Ge- sundheit der Schwangeren nicht zuträglich. Die, welche schnell empfangen, werden von früheren Gebärmutterbeschwerden nicht befreit; wenn sie aber davon befreit sind, dann empfangen sie. Und selbst zugegeben, die Conception beseitige jene Beschwerden, so wäre sie doch nur ein Heilmittel gegen Krankheiten, nicht schon ein Mittel zur Erhaltung der Gesundheit, wie man ja auch vom Aderlass noch nicht behaupten wird, dass er gesundheitlich zuträglich ist, weil er Krankheiten beseitigt. Nach dem was vorausging, muss man erwähnen, dass die Schwangerschaft zu- nächst viele Beschwerniss und Unannehmlichkeit mit sich führt
l) Hier ist zu vergleichen: Hippocrates, de morbis virginum icepl TOxp&svtu>v (Litti fe VIII, 467). Hier wird den mannbaren Mädchen bei auftretenden nervösen und psychischen Störungen empfohlen , sich möglichst bald zu vermählen , da sie durch die Gravidität gesundin werden (xsXsucu ö’Eycuys tä; itapihvouc, öxoxtxv xo xotoOxov Ttdsyajaiv, ö; xäywxa £uvowrj<roct avSpebi«, 1 jv yap xunoiuatv, üyüsc ylvovxa').
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und krankhafte Gelüste erzeugt. Bald muss man erfahren, dass die Nahrung, welche für e i n lebendes Wesen vollkommen hin- reicht, zur Ernährung und Entwickelung zweier Wesen dienen muss, so dass der Schwangeren nicht mehr genügende Nahrung bleibt. Denn die Speise, welche dem Foetus zugeführt wird, wird nothwendigerweise der Schwangeren entzogen. Auch kann sie nicht im Aerhältniss zum A erbrauch mehr Nahrung zu sich neh- men, da die Verdauungsfunktion nicht eine Ueberlastung erträgt. W enn die Schwangere also nur so viel zu sich nimmt, als sie ver- dauen kann, so wird dasjenige, was von der verdauten Speise dem Foetus zu Gute kommt, ihr entzogen. Was aber eine Entziehung bewirkt, ist nicht gesund, somit ist also auch die Conception nicht gesund. Dass die Schwangerschaft Abmagerung, Schwäche und frühes Altern verursacht, lehrt schon der Augenschein der That- sachen, dafür spricht aber auch noch die Aehnlichkeit mit dem Acker, der durch das rasch aufeinander folgende Zeitigen von Früchten derartig mitgenommen wird, dass er nicht mehr jedes Jahr Früchte zu reifen vermag.
Kapitel XII.
Die Zeichen der Conception.
§ 43. Der Name „Empfängniss“ (avXh^is, conceptio) be- zeichnet das Festhalten des Samens, der Name „Schwangerschaft“ (xv?]Ois) dagegen das Verborgensein ( yevfh]<ns ) desselben. Denn bergen ( y.evöetv ) ist so viel wie „verhüllen, verstecken“ (y.Qvjixeiv). Wir definiren also die Empfängniss als das dauernde Festhalten (sich bemächtigen) von Samen, oder eines oder mehrerer Em- bryonen in der Gebärmutter durch natürliche Ursache.
Ich sage „sich bemächtigen“ (y.Qccx^ois), denn die Conception ist ein Festhalten ( y.axoyj ]).
„Auf die Dauer“: denn bisweilen wird der Samen nur flüchtig festgehalten und bald wieder ausgestossen (ausgehustet!), das ist aber keine Empfängniss.
„Des Samens oder des Embryo“: denn in den ersten Zeiten, wo der Zeugungssaft (yovog) noch formlos ist, ist nur von Conception des Samens die Rede. Wenn sich hierauf der In-
l) oüat? Geschöpf, so gebraucht es Sophokles, Electra 325 ^T/jv srjv ouatuov, sx
TiaTpO? TCIUTOÜ tp'-ITtv“.
Hippocrates, de sterilibus Lib. III, 215 (Littrö VIII, 417) gibt als Signa gra- viditatis: Die Augen sind tief und eingesunken, die Sklera ist bläulich. Im Ge- sichte findet sich „stpnpic“ ; anfangs besteht Widerwillen gegen den Wein, der Appetit weicht, es zeigt sich Herzklopfen und Salivation.
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halt der Gebärmutter (ro y.axä yaoTQug) geformt hat und kein Same mehr ist, besteht doch die Conception fort, aber als die des Foetus, nicht mehr des Samens. Denn der Same verwandelt sich in ein Geschöpf ((fvaig)- endlich auch Seele und hört als Samen ganz auf.
Deswegen unterscheiden auch manche bei der Conception die Anfangszeit als die Zeit der Unreife von der nächsten als der Zeit der Reife. Um gleich beide Arten der Conception zu be- zeichnen, sagten wir vorher: des Samens oder der Embryo und fügten auch noch „Embryonen“ hinzu, weil bisweilen eine Con- ception von Zwillingen und Drillingen stattfindet.
„Inder Gebärmutter“: denn nicht in jedem Organ kann das dauernde Festhalten des Samens stattfinden, sondern nur in dem Fruchthalten (vozeQq.) Es wird der Samen auch wohl mal in den Samengängen festgehalten, er bleibt auch, aber es tritt nicht Conception ein.
Endlich muss der Vorgang, naturgemäss, normal sein. In den Fällen, wo der Samen für eine Dauer im Uterus dadurch zurück- gehalten wird, dass der Gebärmuttermund sich aus Kälte geschlossen hat, oder dieses mit dem Embryo bei Schwergeburten geschieht, kann nicht von Conception die Rede sein. Dies ist kein nor- maler, sondern ein pathologischer Zustand.
Das „Aufnehmen“ (analepsis) ist auch wieder was anderes als das „Empfangen“ (conceptio). Unter Aufnehmen versteht man das Eindringen des Samens bis in die Uterushöhle, unter Em- pfangen den auf dieses Eindringen folgenden Akt des Festhaltens und Anklebens. Die Aufnahme hat es nur mit dem Samen, das Empfangen auch mit dem Embryo zu thun.
§ 44. Nach dieser Feststellung kommen wir zu der Behaup- tung Mancher, dass die Conception ohne subjektive Erscheinungen vor sich gehe. Nach unserer Meinung muss man aus mehreren Anzeichen, die zu gleicher Zeit auftreten , mit Bestimmtheit den Eintritt der Conception merken, so z. B. daraus, dass das Weib gegen das Ende des Coitus ein Schaudergefühl befällt und der Ge- bärmuttermund weich geschlossen erscheint. Bei Erkältungen und Entzündungen schliesst er sich zwar auch, aber hart und derb. Ferner verräth sich die Conception dadurch, dass die weibliche Scham gar nicht oder nur sehr wenig mit dem Samen befeuchtet ist, indem die übrige Flüssigkeit nach oben steigt. Nach einiger Zeit erfolgt dann das Ausbleiben der monatlichen Reinig-ung oder sie beginnt nur kurze Zeit zu fliessen, Gefühl von Schwere im Becken, ganz unmerklich nehmen die Brüste zu unter einem Ge- fühl gelinden Schmerzes, es tritt Brechneigung auf, die Venen der Brust erscheinen gefüllt und bläulich, es zeigen sich gelbe Ränder um die Augen, bisweilen treten auch schwarze Flecken aut der Haut des Gesichtes auf und auch die sogenannte Ephelis.
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Danach kommt die „Kissa“ und fortschreitende Ausdehnung des Unterleibes, bis schliesslich die Schwangere die Bewegung der Frucht spürt.
Kapitel XIII.
Die Merkmale, aus denen die alten Aerzte das muth- massliche Geschlecht der Frucht bestimmten.
§ 45. Hippokrates behauptet, männlich werde das Kind, wenn die Schwangere von guter Farbe und leichter Bewegung, wenn die rechte Brust grösser, mehr angeschwollen und voller sei und die Warze mehr hervortrete, weiblich würde dagegen das Kind, wenn bei gleichzeitiger Blässe im Gesicht die linke Brust und wieder besonders deren Warze in höherem Grade angeschwollen sei. Eine falsche Voraussetzung hat Hippokrates zu dieser Behauptung verleitet. Er glaubte nämlich, der auf der rechten Seite des Uterus concipirte Samen erzeuge ein männ- liches Kind, der auf der linken Seite concipirte dagegen ein weib- liches. Diese Ansicht haben wir bereits in dem physischen Ab- schnitt unserer Schrift über die Erzeugung der Thiere widerlegt. Andere wieder behaupten, wenn die Frucht männlich sei, so fühle die Schwangere heftigere und stärkere Bewegungen, bei einer weiblichen Frucht dagegen spüre sie nur langsame und matte Bewegungen, während sie selbst sich nur schwerfällig be- wegt und mehr Ekel (vor Speisen) empfindet. Das Schwanger- sein mit männlichen Kindern erzeuge durch fleissige Bewegung der Frucht ein gesundes Aussehen, das Schwangersein mit weib- lichen Kindern dagegen durch die Unthätigkeit der Frucht schlech- ten Teint. Alles dieses ist recht schön erdacht, aber nicht wahr, denn in Wirklichkeit sehen wir bald das eine, bald das andere eintreten.
1) Die Stelle der Hippokratischen Sammlung findet sich in dem Buche „de sterilibus“ (Littre VIII, 417). „Die Schwangeren, welche Flecken im Gesichte haben, tragen Mädchen, die aber, die einen guten leint behalten, tragen meistens Knaben. Wenn die Brustwarzen nach oben stehen, ist das Geschlecht männlich, wenn nach unten weiblich. Man nimmt Milch von der trau, macht mit Mehl ein Brot daraus und backt es bei gelindem Feuer, wenn es anbrennt, wird es ein Knabe; wenn es aufgeht, ein Mädchen.“ Nach Ermerins dürfte der "\ erfasser des Buches ein nachhippokratischer Jatrosophist gewesen sein. (Ermerins Hippocratis Reliquiae II p. LXXXVII, Prolegomena.)
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Kapitel XIV.
Die Pflege der Frauen, welche concipirt haben.
§ 46. Bei der Pflege der Schwangeren sind drei Zeitab- schnitte zu berücksichtigen. Die Behandlung der ersten Zeit hat sich auf die Bewahrung des eingedrungenen Samens, die des zweiten Zeitabschnittes auf die Milderung eintretender Zufälle, wie z. B. der Gelüste zu richten und die des letzten Zeitabschnittes, der fast mit dem Geburtsakt zusammenfällt, hat die Ausbildung des Embryo und die Erleichterung des Gebäraktes zu fördern.
Was zunächst die erste betrifft, so muss man jede übermässige Erregung und Bewegung des Körpers und der Seele vermeiden. Den Abgang des Samens befördern: Furcht, Trauer, plötzliche Freude und überhaupt jede starke Gemüthserregung, anstrengende Turnübungen, gewaltsames Anhalten des Athems, Husten, Niesen, Schläge, Fallen, zumal auf die Hüften, das Heben von Lasten, Springen, harte Sitze, der Gebrauch von Arzneien, zumal scharfer und niesen verursachender Mittel, mangelhafte Ernährung, Ver- dauungsstörung und Trunkenheit, Erbrechen, Durchfall, Bluten aus der Nase oder sonstwo, Blutflüsse, Erschlaffung durch er- hitzende Agentien, durch heftiges Fieber, Frost und Krampf, kurz alles, was eine so heftige Bewegung verursacht, dass dadurch eine Fehlgeburt entsteht. Alles dieses müssen wir, soweit es m unseren Kräften steht, verhüten. Die Frau mag nach der Con- ception ruhig für einen oder zwei Tage im Bette bleiben unter geringem Gebrauch von Salbe, auf dass sich der Appetit wieder hebt und die genossene Nahrung im Körper bleibt; die Ober- bauchgegend darf dabei nicht gerieben werden, damit nicht durch die lokale Erschütterung der bereits angeklebte Samen wieder abgetrieben wird; salben soll man sie mit Oel, das soeben aus grünen, noch unreifen Oliven gepresst ist, ihre Nahrung muss aus Mehlspeisen bestehen und darf nur gering sein. In’s Bad soll man sie in den ersten sieben Tagen nicht schicken. Denn indem es dem schwächer gewordenen Körper gegeben wird, wird das Bad auch den noch lockeren Samen auflösen , man müsste denn schon der Ansicht sein, dass das Bad, obwohl es noch nicht festgeschlossene Wunden aufklaffen macht und die festesten Ath- lethenkörper lockert, doch nicht im Stande sei, den Samen aus-
1) Hier ist zu vergleichen Paulus Aegineta Lib. I, Kap 1 fach mit Oribasius III, 98 stimmt. Es dürfte von beiden Galen worden sein.
welche Stelle viel- und Rufus kopirt
rP(J . Knoblauch, Zwiebel, Lauch = cxopoS«, xpApa. itpcba werden bei den Alten CelsuTlTgCanUSa?-men ,besProc>T- so z' B- Oribas. I, 249 als erhitzende Mittel: med! V ,29P' 7' ~~ S‘m0n S h Pag‘ I0° (6d' Langkavel) pseüus, Carm. de re
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zuwaschen, der von weicher Konsistenz ist und eine neugebildete Substanz darstellt. In Uebereinstimmung hiermit ist auch der Genuss des Weines für eine gleiche Anzahl von Tagen zu ver- bieten , damit die Verdauung nicht gewaltsam und stürmisch vor sich gehe. Wie die Knochenbrüche nur bei absoluter Ruhe wieder mit den Körpertheilen verwachsen, so wächst auch der Samen im Uterus nur dann sicher und fest an, wenn jede mög- liche Erschütterung vermieden wird. Andererseits darf man bei diesem Verfahren nicht zu lange beharren, es könnte sonst mit dem Körper, der unter der andauernden Enthaltung von Wein und Speise leidet, auch die Gebärmutter geschwächt werden. All- m äh lieh muss das Verfahren geändert werden. Schon am zweiten Tage kann man sie auf einem Stuhl oder Sessel sitzen lassen; nicht zu empfehlen ist das Fahren auf Wagen, da dies den Körper zu stark erschüttert. Dann erlaubt man langsames und gemächliches Spaziergehen, das sich allmählich von Tag zu Tag etwas weiter ausdehnen kann, und Speisen mittlerer Qualität, wie nicht zu fette Fische, mageres Fleisch und mildes Gemüse. Alles Bittere und Scharfe ist zu verbieten, so Knoblauch, Zwiebel, Fauch, Pökelfleisch, kurz alle scharfen Speisen. Jene faulen zwar leicht, aber die scharfen Speisen erregen Blähungen, sind reizend und bewirken dünnen Stuhlgang, weswegen wir sie auch bei chronischen Krankheiten, z. B. bei Verhärtungen, verordnen. Es ist unbegreiflich, wie man nicht einsehen will, dass Speisen, welche ausspülen, mager machen, schwächen, die ganze Konsti- tution vertrocknen und die grössten Verhärtungen zertheilen, dann, wenn sie durch die Verdauung der Uterusgegend zugeführt werden, den Samen, der noch ganz schleimig und noch nicht fest geronnen ist, noch viel eher zum Schmelzen bringen. Auch des Beischlafs soll man sich enthalten, denn dieser erregt den ganzen Körper und zumal die der Ruhe bedürftige Gebärmuttergegend. Wie näm- lich der Magen im Zustande der Ruhe die Speise in sich behält, jedoch wenn er erschüttert wird, oft durch Erbrechen von sich giebt, so behält auch die Gebärmutter den Samen nur dann, wenn sie nicht erschüttert wird, lässt ihn jedoch wieder heraus, wenn sie in unruhige Bewegung versetzt wird. Das Bad kann wärmer genommen werden, sowohl bezüglich der Luft als auch des Wassers, doch ist längeres Verweilen darin und vieles Schwitzen zu ver- meiden, damit der Körper nicht entkräftet und matt wird. Auch darf es unter Umständen kalt sein, doch so, dass nicht das Ge- fühl des Schauders hervorgerufen wird. Nach der Salbung darf man nicht eher wieder essen, bis sich der Körper wieder beruhigt, die Athemstörung und die Erregung der Körpersäfte (des Ge- fässsystems) sich wieder gelegt haben. Später soll man für längere Zeit zuvor Wasser oder auch, aber nur wenn man es gewohnt ist, ein kleines Maass leichten Weines trinken.
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§ 47- Glaube nur ja keiner, dass wenn trotz der Ueberschrei- tung einer oder aller dieser Vorschriften ein Abortus nicht statt- findet, die Frucht überhaupt gar nicht gelitten hat. Vielmehr bleibt die Frucht dann leicht ungeboren oder klein und schlecht genährt, im Allgemeinen schädlichen Einflüssen leichter zugäng- lich, eine Missgeburt an Leib und Seele. Wir sehen, dass die Häuser, welche auf festem Fundament errichtet sind, lange Zeit unerschüttert stehen, dagegen die auf schadhafter und loser Grundlage erbauten bei dem geringsten Ansturm leicht Zusammen- stürzen. So gestaltet sich auch die Schöpfung der lebenden Wesen je nach den Elementen und Grundlagen verschieden, durch die sie gestützt werden.
Dass eine Ausstossung des Samens stattgefunden hat, merkt man an der Nässe der Mutterscheide. Nun wird man nach einer Abhilfe verlangen , damit nicht zum zweiten Male die Conception missglückt. Zu diesem Zwecke ist die körperliche Bewegung, wenn sie schuld war, zu beseitigen, das Gemüth zu beruhigen, falls Lebenssorgen dasselbe aufgeregt haben, und sind zugleich mit dem ganzen Körper die Geschlechtstheile zu stärken, wenn die Schwäche von der Gebärmutter ausging.
So muss das Verhalten in der ersten Zeit der Conception sein. Im Verfolg der Schwangerschaft tritt dann die sogenannte „Kissa“ auf, über die das folgende Kapitel handeln wird.
Kapitel XV.
Gelüste der Schwangeren (xiooa).1)
(Pica, Malacia, Pseudorexia.)
§ 48. Den Namen der Krankheit leiten einige von dem gleichnamigen Vogel (xiooa, pica, Eichelhäher [Garrulus glan- danusj ab. "Wie der Häher in buntem Gefieder schillert und die mannichfaltigsten Laute ausstösst, so zeitige auch das in Rede
Eichelhäher (Garrulus glandarius). Aristoteles, Thierkunde (ed Aubert
an ieIimTer) 9\ ”Der Eichelhäher ^sst sehr verschiedene Stimmen hören an jedem Tage, konnte man sagen, eine andere.
Oliven, cfr. Alexander von Tralles II, 464 ed Puschmann
auch L »■ »’ «* *»»*• — . vielleicht
xiooa = Pica, malacia, pseudorexia wird von den Alten mit besonderer Ge- nauigkeit erörtert ; so Hippocrates, de morbis mulierum (Littre VIII, 79) Aristoteles
Aet üs TTT3^ VI1, Cap‘ 4’ § 29- Galen, de Symptom, causis Lib. I (Kühn VII 133)’ Aetius III. Sermo 1, cap. 23. Paul. Aeginet. Lib. I, cap. 1. V ’ 33j‘
Aristoteles nennt den Zustand xtoträv und behauptet dass die n-elücte k«;
her,iser —■ ^
Soranus: Uebcr die Krankheiten des weiblichen Geschlechtes.
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stehende Symptom die verschiedensten Gelüste. Andere wieder leiten den Namen von „xlooos“ (Epheu) ab, der ebenfalls in seinen Umschlingungen mannigfaltig sei.
In der Regel beginnt die Pica bei den Schwangeren unge- fähr am 40. Tage und dauert dann höchstens vier Monate lang; doch ist auch Anfang und Ende bei den Einzelnen verschieden, bald früher, bald später, selten dauert sie bis zum Moment der Geburt. Bei Manchen tritt sie überhaupt gar nicht auf. Das Leiden äussert sich durch Aufstossen von Flüssigkeiten und über- flüssige Nässe im Magen, Ueblichkeit und Appetitlosigkeit bald für alle, bald nur für die eine und andere Speise, Verlangen nach ungewöhnlicher Nahrung, wie z. B. nach Erde, Kohlen, sauren Weintrauben, unreifem und saurem Obste. Bei Manchen zeigt sich ferner noch ein periodisches Erbrechen von allem Genossenen, Druckgefühl, Schwindel, Kopfschmerzen, Abfluss einer Menge roher Säfte (Lienterie), Blässe, Abmagerung, harter Stuhlgang, bei einigen verbunden mit Spannung des Magens, Brustschmerzen. Bisweilen erfolgt auch leichtes Fieber und Anschwellen der Brüste. Die angespannten Gefässe zeigen bald eine grünliche, lauchartige, bald eine schwarzblaue Farbe. Einige bekommen auch die Gelb- sucht.
§ 49. Sobald sich die ersten Anzeichen des Leidens zeigen, soll man Enthaltsamkeit von Speisen für einen Tag anempfehlen, damit der Magen dadurch, dass er nicht zu seinen natürlichen Verrichtungen veranlasst wird, ungestört in Ruhe gehalten werde. Man soll dabei nicht die allgemeine Anschauung beachten, dass man möglichst viel Nahrung darreichen müsse, da zwei Wesen zu ernähren seien. Denn jede nicht zu gehöriger Zeit verabreichte Speise verdirbt, sie ernährt nicht nur nicht, sondern schadet oben- drein noch dem Körper der Erwachsenen, wie auch dem Samen, der eben erst Konsistenz gewonnen hat. Deswegen ist Enthal- tung am Platze. So bekommen Schiffer, welche einen Tag vorher fasten, die Seekrankheit überhaupt nicht oder doch nicht in heftigem Grade.
An den nächsten Tagen kann die Behandlung mit Salben Vor- gehen, man darf leicht verdauliche Speisen in geringen Quanti- täten gestatten, z. B. ein weiches Ei, Brei, kleines Stück von magerem Geflügel und zum Irinken Wasser, nur wenig', aber kaltes, wenn man daran gewöhnt ist, damit der Magen nicht über- schwemmt werde. An den folgenden Tagen muss man vor dem Gebrauch der Salbe den Körper mit weichem Linnen solange zart reiben, bis er sich rnässig röthet. Nach Verlauf einiger Tage kann man dann schon ein wärmeres Bad verordnen, ferner mass- vollen Genuss leichten Weines, Umhertragen, das zuerst in der Sänfte und im Sessel, dann im Wagen stattzufinden hätte, Spa-
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zierengehen, lautes und deklamatorisches Lesen, gymnastische Spiele, wie z. B. Tanzen, Werfen mit dem Ledersack und dem Balle, Frottiren. Zur Stärkung des Magens ist es gut, trockenes Waizenbrod zu essen. So wird der Körper leicht von den Be- schwerden der „Kissa“ befreit. Ist die Vornahme eines täglichen Bades nicht möglich, so rathen wir doch, jeden zweiten oder dritten Tag zu baden.
§ 50. Ist der Brechreiz heftig und der Magen mit Flüssig- keit gefüllt, so wende man feuchte, zusammenziehende Umschläge um Magen und Unterleib mittelst frischen aus unreifen Oliven gepressten Oeles an und schlage obendrein noch wollene Decken herum. Oel aus Rosen, Quitten, Myrten, Mastix oder Nardus bereitet, stärkt wieder den erschlafften Magen, oder Applikation einer Cerat-Salbe mit solchen Stoffen gemischt. Bedarf es aber wegen eingetretenen Erbrechens einer stärkeren Zusammenziehung, so müssen Umschläge gemacht werden, wie trockene Datteln, welche vorher ein geweicht oder in herbem Wein oder Essig ge- kocht sind, und auf dieselbe Weise gekochte Quittenäpfel, welche entweder allein oder in Verbindung mit den Datteln oder einer der vorher erwähnten Ceratsalben in Anwendung kommen. Wir können die Wirkung dieser Mittel noch erhöhen, indem wir hin- zufügen: feuchten oder trockenen Alaun, Aloe, Mastix, Rosen, Saffran, Weinbliithe, Schale des Granatapfels, unreife Oliven, Galläpfel, Hypocistis, Akazien-Gummi, feines Gerstenmehl. Wenn das Erbrechen und Auswerfen der Speisen andauert, thut man gut, die Extremitäten zu binden, denn zugleich mit der Ein- schnürung dieser zieht sich auch der Mag-en zusammen, oder dieselben in siedend heisses Wasser zu tauchen, was ebenfalls adstringirend wirkt. Auf den Magenmund setze man einen breiten Schröptkopf, den man stark erwärmt applizirt; nützt dies nicht, lege man noch einen zweiten auf den Rücken. Denn diese hemmen in ähnlicher Weise den Magenfluss. Wenn der Fluss Schmerz verursacht, soll man ein zusammenziehendes, warmes Kataplasma machen, so z. B. geschrotenes Mehl mit Essig zumal aus Gerste und ungesiebtem Waizen.
§ 51- Vor allem aber soll man Speisen verordnen, die dem Magen genehm sind, leicht von ihm verdaut werden und nicht leicht gähren, wie weiche Eier und Waizengraupen, die mit kaltem Wasser oder Essig oder mit dem Samen der Granatäpfel zu ge- messen sind, ferner ganz weiches, feines Gerstenmehl, besonders in der Gestalt von Reis; mageres Geflügel mit mürbem Fleische, wie z. B. ein Haselhuhn1), eine wilde Taube, ein Steinhuhn, wilde Enten, Krammetsvögel, Amseln, Tauben, Flühner und von diesen
l) Aristoteles, ed. Aubert und Wimmer I, 88.
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hauptsächlich das Bruststück; von Wild Hasen- und Rehfleisch, ausserdem noch junges Ziegenfleisch und von zartem Schweine- fleisch den Rüssel, Füsse, Ohr, Gebärmutter; von Seethieren gleichfalls nur solche mit festem Fleisch, wie z. B. Seebarben, Langusten, Garnelen, Schnecken, Austern, Riesenmuscheln, Pur- purschnecken; von Gemüsearten die Cichorie roh und gekocht, Ra- punzel, Portulak, Wegerich, wilden Spargel ; von Konserven end- lich die mit Salz eingemachten Oliven und Quittenäpfel, beson- ders in gebratenem Zustande. Denn alles Rohe ist schwer zu verdauen; sobald es aber im Wasser gekocht ist, verliert es zum Theil das zusammenziehende Prinzip, wird es dagegen zerquetscht und geröstet, so behält es seine Kraft und ist obendrein noch leicht zu verdauen. Will man nun Gekochtes essen, so soll man es so kochen, dass man es auf Rohrhalme legt oder irgendwie authängt, dass es das Wasser nicht berührt, sondern durch die aufsteigenden Dämpfe allmählich gekocht wird. Man kann auch Birnen, Mispel, Arlesbeeren (Sorbus domestica), Weintrauben empfehlen und zwar entweder aus dem Topfe, oder vorher aufge- hängt (getrocknet, Rosinen). Denn die frische Traube blähtauf. Ferner sind auch Mandeln zu gestatten. Nur darf nichts von allem diesem leckerhaft zubereitet sein. Denn das Komplizirte und Gekünstelte in der Zubereitung verlangsamt die Verdauung und verdirbt die Speisen leicht.
§ 5 2. Sollte sich im Magen vor dem Essen eine Flüssigkeit angeschoppt haben, so soll man nicht verhindern, dass der Magen diese ohne jede Mithilfe aufstossen lässt und durch Erbrechen herauswirft. Denn wenn der Magen nicht vorher ganz ausgeleert ist, so kann die Speise leicht verderben. Einige von denen, welche anderer Ansicht sind, schrieben vor, zunächst lauwarmes Wasser zu trinken und dann die Finger in den Hals zu stecken und so das Erbrechen zu erzwingen. Auch sagen sie, wenn die über- flüssige Feuchtigkeit scharf und brennend sei und den Magen anätze und brenne, so solle man den Aufguss oder Dekokt von Portulak trinken oder Portulak essen, ferner empfehlen sie Me- lonen und Gurkensamen mit Wasser vermischt, süssen Kreter- wein oder Stabwurz oder Wermuth oder den Abguss von dem syrischen Nardus oder den kretischen Bocksoriganon. Ist die Feuchtigkeit aber dicker und zäh , so verordnen sie R.ettig zu- sammen mit Essigmeth und mit Pökelfleisch und ein Senfmittel und Isop, welches in Meth abgekocht ist. Dies ist jedoch alles planlos. Denn nicht die verschiedenen Zustände der Säfte, sondern die verschiedene Konstitution des Körpers muss man berück- sichtigen. Ausserdem sind Rettige schwer zu verdauen, bläht
1) cfr. Alexander Trall II, 464.
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der süsse Wein auf und befördert der Wermuth den Abortus. Es ist also vor dessen Verabreichung zu warnen.
§ 53. Die Begierden der Schwangeren nach schädlichen Sachen muss man zunächst durch mündliche Vorstellungen einzu- dämmen suchen, indem man sie belehrt, dass jene Dinge ihrem Magen und damit auch dem Foetus schaden, weil ihm damit nicht eine reine und angemessene Nahrung zugeführt werde, sondern eine solche, welche nur einen ungesunden Körper schaffen könne. Denn auch das aus der Erde fliessende W^asser sei nur klar, Ayenn die Erde rein sei, dagegen trübe, wenn sie schmutzig sei. Ver- schliessen sie diesen Ermahnungen ihr Ohr, so soll man ihnen an den ersten Tagen nichts verabreichen, sondern erst nach einigen Tagen, wenn sie aus Gram darüber, dass ihr Verlangen nicht erfüllt wird, abmagern. Um den Schaden möglichst zu mindern, muss man zunächst darauf sehen, dass sie das Begehrte nicht vor der beendeten Einreibung des Körpers erhalten, wo ja auch das an sich Nützliche schadet, und dann, dass sie es nicht allein, sondern stets unter einer zuträglichen Speise bekommen, damit deren gute Qualität die schädliche vernichte oder doch wenig- stens einhülle. Ferner soll man nur eine geringe Quantität geben, denn das Zuviel schadet stets in höherem Masse. Auch muss es zwischen einer anderen Speise genossen werden, nicht früher, denn es schadet dem leeren Magen, noch später, denn das Un- verdauliche verdirbt auch die übrige Nahrung.
So hat die Behandlung der Schwangeren während der Zeit der „Kissa“ zu sein; die Behandlung derselben in der nächsten Zeit wird im folgenden Kapitel besprochen Averden.
Kapitel XVI.
Die Pflege der Schwangeren in der Zeit seit der Kissa bis zum Geburtsakt1).
§ 54. Nachdem Avir im vorhergehenden Kapitel uns genügend über das Verhalten der Schwangeren zur Zeit der Kissa ausge-
*) Hier ist zu vergleichen Oribasius (ed. Bussemaker et Daremberg) I, 98; 2rj|ieTa _ouXX7)'t})i<jus y.a\ nepi Staürjc. 'E/. xüv PaXfjvou (Poütpou?). Bezüglich des Coitus wird hier die Ansicht verfochten, dass sich die Schwangeren weder gänzlich ent- halten, noch zu häufig sich demselben hingeben sollen; denn bei Enthaltung werde die Geburt schwieriger, bei zü vieler Uebung des Coitus aber werde das Kind schwach. , . Pas Niesen gilt als besonders gefährlich: „‘0 bk ypfj oGScvos yjoaov Ssootxevai
sv a-rcaorj rfi -/.uvjaet, 01 icTappof euriv.
Bockshorn, Foenum graecum, -i)Xic, cfr. Dioscorides, Mat. med. II, cap. 124.
Das Mehl der Samen hat erweichende und zertheilende Kraft und wird als Kataplasma gebraucht, besonders auch bei Uterinleiden.
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lassen haben, bleibt noch übrig, auch über das Verhalten in der nächsten Zeit einiges zu sagen.
Der Schwangeren sind im Verhältniss zu ihren Kräften an- zuempfehlen: allerlei Schaukelübungen, Spazierengehen, Rede- übungen, Lesen, Salben, Einreiben, reichliche Nahrung doch ohne Uebersättigung, Weintrinken, die gewohnten Bäder, Zerstreuung des Gemüths in jeglicher Art und hinreichender Schlaf. Hier- durch wird die Schwangere unempfindlicher gegen Krankheiten, befindet sich wohl und ist besser im Stande die Wehen zu er- tragen, wie andererseits auch der Foetus gesund und kräftig wird und hinreichende Nahrung geniesst.
§ 55. Im siebenten Monate soll man dann von den stärkeren Bewegungen, namentlich vom Fahren, Abstand nehmen und in sonstigen Bewegungen behutsamer sein. Denn während im Be- ginn der Gravidität ein Krampf gefährlich werden kann, so lange der Samen noch nicht fest geworden und Konsistenz gewonnen hat und so leicht aus dem Uterus sich ablösst, muss man in der späteren Zeit, wo der ausgebildete Foetus einen Druck ausübt, befürchten, dass bei grösserer Unruhe das Chorion reisst und dann das angesammelte Fruchtwasser abfliesst, im Falle einer trockenen Gravidität der in die Geburtswege eingetretene Foetus mit der Schwangeren in Gefahr komme. In der mittleren Zeit ist aber die Bewegung nicht gefährlich, da der Foetus noch klein, aber sicher gebettet ist, das Chorion weder zu schlaff noch zu angespannt ist und den Embryo besser umschliesst. Auch soll man billiger Weise auf die Anschwellung des Bauches Acht geben , ob sich nicht daraus die Anzeichen der nahen Geburt zeigen. Diese Anzeichen besprechen wir später. Wenn sich der- artige Vorboten zeigen, soll man alles zur Geburt bereitlegen. Denn der Augenschein lehrt, dass auch im siebenten Monat be- reits reife Früchte geboren werden. Zeigen sich derartige Vor- zeichen noch nicht, so handle man nach den vorher angegebenen Vorschriften. Beim Frottiren muss man sich vorsehen, dass man nicht die Warzen der mehr und mehr anschwellenden Brüste verletzt, denn sie sind sehr empfindlich, und leicht bildet sich in ihnen ein Abscess. Deswegen soll man auch die gewohnten Brustbinden lockern, um die gleichmässige Anschwellung zu er- möglichen.
§ 56. Im achten Monate, den man euphemistisch als den leichten bezeichnet, der aber in Wirklichkeit alle Beschwerden in erhöhtem Masse auftreten lässt, soll man die Quantität der Speise beschränken, von Bewegungen nur die in der Sänfte oder auf einem langen Sessel zulassen, es sei denn, dass eine nicht bis zu Ende das Verlangen trüge, spazieren zu gehen. Wenn aber die Beschwerden zunehmen, wird es gut sein, einen Tag zu pau-
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siren, auf dass durch Ruhe diese gehoben werden. Das Baden im kalten Wasser, wie es die Menge liebt, soll man nicht ge- statten, weil die Schwangeren Zusammenziehungen nicht ertragen, unter denen sie, wenn sie zu ungelegener Zeit gegessen haben, sehr viel leiden. Denn zersetzte Nahrung nährt nicht nur nicht, sondern schafft auch Beschwerde. Auch das Bad ist bis zu einem gewissen Grade zu verwerfen.
Der Beischlaf schadet den Schwangeren zu jeder Zeit ein- mal wegen der dadurch verursachten Erschütterung und dann, weil die Gebärmutter dadurch gezwungen wird, eine Bewegung zu erdulden, die dem Werke der Empfängniss feindlich ist. In den letzten Monaten ist noch ganz besonders zu befürchten, dass durch den Coitus das Chorion zerrissen wird und das für den Gebärakt nöthige Fruchtwasser früher, als gut ist, abgehe. Bildet sich ein Hängebauch, so soll man ihn durch eine Binde stützen und zwar so, dass man die Mitte der Binde unmittelbar über die Wöl- bung des Unterleibs legt, die beiden Enden nach hinten kreuz- weise herumschlägt, sie dann über den Rücken und die Schul- tern wickelt, um sie schliesslich vorne mit der rings den Körper umhüllenden Binde zu verknüpfen. Man darf den schwangeren Leib auch salben mit einer Ceratsalbe, welche mit Oel aus un- reifen Oliven und mit Myrte bereitet ist. Auf solche Weise stärkt sich die Haut, bekommt keine Schwangerschaftsnarben striae gravidarum) und bleibt frei von Runzeln.
Nach dem achten Monate soll man die Binde wieder lösen, wann der Augenblick der Geburt naht. Denn das Gewicht wird den Geburtsakt beschleunigen. Oefter soll man jetzt baden, um die Geschlechtstheile zu erschlaffen, und in süssem und warmem Wasser schwimmen. Denn die natürlichen Mittel zeigen dieselben kräftigen Wirkungen wie die Mittel, welche zur Abtreibung der Leibesfrucht angewendet werden. Auch ist es zweckmässig die Geschlechtstheile erschlaffen zu machen durch Schwitzbäder oder Sitzbäder, welche aus dem Dekokt von Leinsamen oder Bocks- horn oder Malve bereitet sind, durch Einspritzungen mit süssem Oele, endlich durch Pessarien aus Gänsefett und Mark. Auch die Hebamme selbst soll fortwährend mit dem Finger den Mutter- mund öffnen und ringsherum salben. (Ausgabe von Ermerins fügt noch hinzu: zumal bei solchen, welche zum ersten Male ge- bären, bei kränklichen, und bei denen, welche ein männliches Wesen, hartes Fleisch und einen muskulösen Uterushals haben.) Nachdem hiermit die Erörterung oder die Behandlung bis zur Geburt erschöpft ist, müssen wir noch von den Mitteln zur Ab- treibung der Leibesfrucht sprechen.)
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Kapitel XVII.
Ueber die Entwickelung des Eies in der Gebär- mutter1).
§ 57 • Wie bei den Vogeleiern sich im Innern unter der Schale eine Membran befindet, welche das Ei von der Kalkschale tiennt, ebenso bildet sich bei den schwangeren Frauen innerhalb aus dem Samen eine Membran, die mit dem Uterus zusammen- hdngt und keine Oeffnung hat. Sie ist am Fundus uteri ange- wachsen und besteht aus Nerven, Venen, Arterien und Muskel- substanz. Von Farbe ist sie purpurn, an Gestalt dem Ciborien- blatte (Seerose, Nelumbium) ähnlich, dick an der Stelle, wo sie an der Gebärmutterhöhle (Fundus uteri) angewachsen ist, an den übrigen Theilen dünn und häutig, wofür wir den Grund später angeben werden. Diese Membran heisst Chorion (/ öqiov ) und angion ( ayyelov ) und secundinae (öevzeQov xcci vozsqov) und prae- gnans (iTQOQQTjy/.ia). Xoqlov heisst sie, weil sie den Embryo und seine Zubehör in sich aufnimmt oder, wie einige wollen, weil sie aus vielen Theilen besteht wie der Reigen (yopog); ayyelov, weil sie den Embryo wie ein Gefäss bedeckt; öevzeQov xai votsqov , weil sie nach der Geburt des Embryo folgt; nQOQQJ]yf.ta, weil sie vor der Geburt durchreisst und das Fruchtwasser bereitet, um die Geburt des Embryo zu erleichtern.
Aus den in der liefe des Uterus liegenden fleischigen Theilen erhebt sich ein dünnes Gebilde, das in der Mitte des Bauches des Embryo sich einpflanzt, dort wo der Platz für den Nabel ist. Das so dem Embryo gewissermassen als Körperbestandtheil angewachsene Stück nennt man Nabelschnur. Sie ist aus vier Gefässen, zwei
l) y.cßcupiov = Nelumbium, Seerose.
Die Ausgabe von Ermerins hat am Anfang des Kapitels folgende Stelle: ,.Zur Zeit der Conception entsteht in der Gebärmutter das Chorion, welches den ganzen Embryo von aussen umfasst und mit ihm zugleich zwei andere Häute; die eine heisst die Allantois, welche doppelt auf den Theilen der Frucht liegt, und nach ihm die Haut, die man dpvetöc nennt, zart und allenthalben den Embryo umschliessend.
Zu vergleichen ist Galen, de foetus formatione (Kühn IV, 652).
Ueber „Allantois“, Galen, de anatomia matricis (Kühn II, 902).
Rufus von Ephesus (ed. Ruelle p. 166 — 67) rcept o'voixa<n«; etc. Hier lesen wir: Das Kind wird von Häuten umfasst, zuerst von einer dünnen und weichen Haut, welche Empedoldes „Amnion“ nennt, weshalb auch die Ilithyia „Amnias“ heisst, und nicht nach einem Hafen auf Kreta. Schneidet man diese Haut auf, so findet man sie mit Flüssigkeit gefüllt, welche viel klarer ist, als die im Chorion. Man hielt sie theoretisch für den Schweiss des Foetus Wir fanden aber auch, dass durch den Urachus eine harnähnliche Flüssigkeit in das Chorion kommt. Das Amnion (äp.vioc) liegt nach innen dicht auf dem Kinde, das Chorion nach aussen, als eine rauhe und gefässreiche Flaut in der Gebärmutter. Aus dem Chorion wächst der Nabel, zwei Venen und zwei Arterien, und als fünftes der Urachus, ein kurzes Ge- fäss mit zwei Mündungen vom Grund der Blase in das Chorion gehend. Ueber Vorwasser sehe man Winckel, Lehrbuch p. 139; Schröder p. 144 (10. Aufl.).
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Venen und zwei Arterien, zusammengesetzt, durch welche dem Embryo Blut und Luft als Nahrung zugeführt werden. Em- pedokles lässt diese Gefässe zur Leber, Phädrus dagegen zum Herzen verlaufen. Die meisten weisen jedoch die Venen der Leber, die Arterien dem Herzen zu. H er ophi los nimmt an, dass die Venen in die „Hohlvene“, die Arterien in die „Aorta ab- dominalis“, welche .sich am Rückgrat hinzieht, verlaufen, jedoch sich vorher neben der Blase nach beiden Seiten hin verzweigen. Eudemos endlich erklärt einfach, im Nabel des Embryo seien die Gefässe vereinigt und trennten sich erst von da aus in die sogenannten Hörner (xegara) unter dem Diaphragma.
Das fünfte Gefäss, welches wir als Urethra bezeichnen, wird gewöhnlich Urachus (Harngang) genannt. Er soll am Blasen- grunde befestigt sein, und durch ihn ergiesst sich der Harn des Embryo in das Chorion. Doch die Harnentleerung durch die Urethra geschieht erst nach der Geburt. Aus diesem Grunde ist auch die Membran an den unteren Theilen zarter, weil sie eben unter der Schärfe des Exkrets und der Schwere des Embryo sich spannt und dünn wird. Auch dieses Exkret hat einen nützlichen Zweck, es hat nämlich einmal den Embryo vorher empor zu heben und dann, wenn bei der Geburt das Chorion reisst, vorher sich zu ergiessen und die Geschlechtstheile so zu befeuchten, dass der Embryo bequem herausgleitet.
§ 58. Soviel über das Chorion und die Nabelschnur. Ver- schiedener Ansicht ist man betreffs der zweiten Hülle. Die Majori- tät ist der Ansicht, es bekomme auch der Embryo eine zweite Hülle, welche Amnion genannt werde; diese würde bei den Thieren leicht bemerkt, weil sie sich wegen der festen Substanz nicht verdünne , bei den Menschen aber werde sie durch die Schärfe der umfliessenden Feuchtigkeit zersetzt und fände sich so nicht am ganzen Körper, sondern nur an den natürlichen Körperöffnungen, wie Nase, Mund und After. Man sagt, sie hätte von der Natur gebildet werden müssen, damit nicht der Embryo dadurch zu Grunde gehe, dass er das scharfe und verderbliche Exkret ein- sauge. Doch einige leugnen die Existenz dieser Membran, weil sie sich weder bei der Geburt vorfinden lasse, noch das Ein- saugen nützlich sei. Denn das Fruchtwasser sei nicht solcher Art. Ja selbst wenn es solcher Art wäre, so würde das wohl zu erkennen sein. Ausserdem könne sie nicht durch den Mund ein- gezogen werden, weil ja die Athmung durch den Nabel geschehe. Zufluss könne nur sein, wo Abfluss ist. Da nun von &den Em- bryonen nichts abfliesst, möchte dem Fruchtwasser wohl das H indringen unmöglich sein. AVäre wirklich ein natürlicher Schutz nöthig, so genüge es doch, wenn die offenen Stellen durch eine Membran geschützt werden, und brauche diese nicht den ganzen Körper zu umschliessen. Da nun Mund und After des Embryo
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eng verschlossen und überhaupt keine Oeffnung da sei, so sei ein gewaltsames Einströmen schlechthin unmöglich. Ueberhaupt befindet sich das Fruchtwasser gar nicht in dem Hohlraum des Chorion, in welchem der Embryo lebt, sondern in den Geweben desselben und schafft sich darin einen Platz durch Unterwühlen derartig, dass das Chorion dadurch zweifach, ja bisweilen auch dreifach getheilt wird. Deshalb stosst der Finger der Hebamme noch auf eine geschlossene Membran, wenn auch ein Theil des Fruchtwassers, welches abgeschnürt war, schon ausgeschie- den wurde.
Wenn aber auch diese Haut reisst, so geht viel Fruchtwasser ab und die Frucht folgt bald. Viele wollen das bestreiten und sagen das erste Wasser (Vorwasser!1) werde durch Bildung von Hyda- tiden abgeschieden, welche platzen, während das Chorion ganz bleibt. Dieses war im Allgemeinen auch schon unsere Ansicht, bevor Thatsachen für die Existenz des Amnion (Schaf haut) zeugten.
Kapitel XVIII.
Die Zeichen eines bevorstehenden Absterben der
Frucht2).
§ 59. Steht der Tod der Frucht bevor, so geht zunächst eine Flüssigkeit ab, ähnlich dem Blutwasser oder dem Blute oder auch dem Fleischwasser. Hat sich das Ei gelöst, so folgt reines Blut und schliesslich geronnenes Blut und fleischiges Gewebe, welches je nach der Zeit noch formlos ist oder schon Form ge- wonnen hat. Bei den meisten Frauen zeigt sich ferner Schwere und Schmerzen in der Hüfte, den Eingeweiden, im Unterleibe, in den Leistendrüsen, im Kopfe, in den Augen und den Gliedern, Magenschmerzen, Kälte, Schweiss, Ohnmacht, bisweilen auch Fieberschauer, auch Schluchzen, Krampf und Stimmlosigkeit. Diese Erscheinungen treten zumal bei den Frauen auf, welche Abortiva genommen haben. Bei Frauen, welche spontan abor- tiren, konstatirte Hipokrates ein abnormes Welkwerden der Brüste, Diokl es dagegen Frost in den Schenkeln und Gefühl von Schwere im Becken um die Zeit der Geburt.
1) cfr. Winckel p. 139. Schröder p. 144 (10. Aufl.).
2) Das Welkwerden (iovviuoi?) der Brüste wird in der Hippokratischen Samm- lung wiederholt als Zeichen des drohenden Abortus erwähnt. So in dem Buche über Frauenkrankheiten I. §'27 (Littre VIH, 71). „Wenn bei einer im 7. oder 8. Monate Schwangeren die Völle der Brüste und des Bauches schwindet, wenn die Brüste klein werden und keine Milch sich zeigt, so ist das Kind entweder todt
oder schwach. ,
Ferner Aphorismen V, 53 und 37. (Littre IV, 551). Epidemienil, £ 6 (Littr6
V, 77).
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Kapitel XIX.
Ueber den Gebrauch der Abortiva und der Mittel, welche die Conception verhindern1).
§ 60. Atokion unterscheidet sich von Phthorion so, dass das erstere ein Mittel bezeichnet, welches die Conception verhindert, das zweite dagegen ein Mittel, welches die Frucht tödtet. Ek- bolion halten einige für synonym mit Phthorion,1^ andere sagen dagegen, das Ekbolion bestehe zum Unterschiede von Phthorion nicht in einer Arznei, sondern in einer gewaltsamen Erschütte- rung des Körpers wie z. B. beim Springen. So habe Hippo- krates in seinem Werke über die Natur des Kindes die Abortiva verworfen und als Abtreibungsmittel den Sprung angerathen, bei welchem man mit den Füssen den Steiss berührt. Doch geht die Ansicht über den Gebrauch der Abortiva auseinander. Manche verwerfen sie, indem sie sich einmal auf die Worte des Hippo- krates „ich werde niemals ein Phthorion verordnen“ berufen und dann weiter anführen, es sei die Aufgabe der ärztlichen Kunst, die Werke der Natur zu erhalten und zu retten. Andere lassen die Phthoria mit Auswahl zu, so niemals in den Fällen, wo statt- gefundener Ehebruch oder Besorgniss für die Blüthe Tödtung der Frucht verlangen, dagegen immer, wenn die Geburt gefährlich zu werden droht, sei es dass die Gebärmutter zu klein ist und die Entbindung nicht vollenden kann, oder dass sich im Muttermunde Neubildungen und Risse gebildet haben oder irgend ein anderes
p Die Schrift ,,de natura pueri“ ist nicht von Hippolcrates, sondern von einem späteren Jatrosophisten. Hier wird einer Tonkünstlerin (p.oua&epYo?), welche Gravidität zu fürchten hatte, gerathen, wiederholt mit den Füssen auf die Erde zu springen. Nach dem siebenten Sprung sei das Ei abgegangen. Ueber das abgegangene Pro- dukt besitzen wir eine ausführliche Erörterung von Charles Robin (Littre, Hippo- crate VII, 463), welcher den Abgang mit Dysmenorrhoea membranacea in Zusammen- hang bringt. (Hierüber Winckel, Lehrb. d. Frauenkrankheiten p. 563, wo- übrigens die Priorität der Beschreibung für J. B. Morgagni gewahrt wird.) Die Ansicht Robins stützt sich auf den Umstand, dass die Expulsion schon sechs Tage nach dem Coitus slattfand, zu welcher Frist ein deutliches Ei noch nicht vorhanden sein konnte.
Da der Eid des Hippokrates offenbar einen ganz anderen Ursprung hat (auch er ist wohl nicht echt hippokratisch), so kann darin kein Widerspruch erblickt wer- den, wenn im „opxos“ gesagt wird „ouSs yüvaoa -rclaaov (p&opiov Siuau/- — ich werde keiner Frau ein abtreibendes •tce'jcov (Mutterzapfen) reichen.
Hippokrates, Aphorism. V, 31. Eine Schwangere, der zur Ader gelassen wird, abortirt und um so eher, je grösser der Embryo ist.
Ueber -/.sopos sehe man Oribas. II, 645.
Succus Cyrenaicus, hierüber Alexander Trall (ed. Puschmann I, 406), auch Dioscorides Mater, med. Lib. III, cap. 34 ed. Sprengel.
Syrische Salbe. Galen (de compos. medicam. sec. locos Lib. II. Kühn XII, 543) nach Archigenes.
Ruta, Raute. Diese Pflanze gilt heute noch als kräftiges Abortivum. Helie de Nantes hat in den Annal. d’PIygien. I. Serie Tom. XX, drei Fälle berichtet (referirt bei Tardieu, Etüde med. leg. sur l’empoisonnement).
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Geburtshinderniss vorliegt. Diesem entsprechen auch ihre An- sichten über die Anwendung der Mittel zur Verhütung der Con- ception. In Uebereinstimmung mit diesen halten auch wir es für sicherer, die Conception zu verhindern als die Frucht zu tödten.
§ 61. In den Fällen, wo es nützlicher ist, die Conception zu hindern, soll man den Coitus in den Zeiten unterlassen, welche wir als besonders empfänglich bezeichnet haben, das ist also die Zeit unmittelbar vor und nach der Menstruation. Ferner soll die Frau beim Coitus in dem Augenblicke, in dem der Mann den Samen ejakulirt, den Athem anhalten, ihren Körper ein wenig zurückziehen, auf dass der Samen nicht in die Uterushöhle drin- gen kann, dann sofort aufstehen, sich mit gebogenen Knieen niedersetzen, in dieser Stellung Niesen erregen und die Scheide sorgfältig auswischen oder auch kaltes Wasser trinken. Ferner verhindern die Conception Inunktionen des Muttermundes mit altem Oel oder Honig oder Cedernharz oder Opobalsamum ent- weder allein oder mit Bleiweiss verbunden, oder mit Salbe, welche in Myrthenöl und Bleiweiss bereitet ist, oder mit Alaun, welches ebenfalls vor dem Coitus zu befeuchten ist, oder Galbanum in Wein. Wirksam ist auch weiche Wolle in den Muttermund ein- gebracht oder vor dem Coitus der Gebrauch von Mutterzäpfchen, welche zusammenziehen und verschliessen. Denn wenn derartige Mittel adstringirend und kühlend wirken , verschliessen sie den Muttermund vor dem Augenblicke des Beischlafs und verhindern den Eintritt des Samens in die Uterushöhle; wirken sie dazu noch reizend, so verhindern sie nicht nur das Verbleiben des Samens in der Uterushöhle, sondern ziehen sogar noch eine andere Flüssigkeit aus derselben.
Von anderen derartigen Mitteln erwähne ich noch: Fichten- rinde, Rhus coriaria, beides zu gleichen Theilen: zerreibe es mit Wein und -wende es kurz vor dem Coitus an vermittelst Wolle. Diese ist nach 2—3 Stunden zu entfernen, und dann darf der Coitus stattfinden.
Ein anderes Mittel: Kimolische Erde, Panaxwurzel, zu glei- chen Theilen für sich allein oder auch mit Wasser vermischt als Paste. Anwendung wie vorher.
Oder: Das Fleisch von frischen Granaten mit Wasser zer- rieben.
Oder: Zwei Theile Granatapfelschale, ein Theil Gallaplel; zerreibe diese zu kleinen Kugeln und lege sie nach dem Auf- hören der Menstruation unter den Muttermund.
Oder: Gelöster Alaun und das Fleisch der Granate mit V' asser zerrieben. Die Anwendung geschieht vermittelst Wolle.
Oder: Unreifer Gallapfel, Granatenmark, Ingwer. Nimm von jedem 2 Drachmen, forme es zu Kügelchen von Erbsengrösse,
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trockne sie im Schatten und gebrauche sie als Mutterzäpfchen vor dem Coitus.
Oder: Verreibe das Fleisch getrockneter Feigen mit Natrum und gebrauche es ebenso
Oder: Granatapfelschalen mit Gummi und Rosenöl zu glei- chen Theilen.
Ferner wirkt in gleicher Weise das Trinken des Honig- gemisches1). Vermeiden muss man dagegen alle scharfen Mittel, weil sie ätzend wirken. Alle angeführten Mittel sind nach Be- endigung der Menstruation anzuwenden.
§ 63. Manche empfehlen auch, einmal im Monat eine Quan- tität Kyrenaischen Saftes2) von der Grösse einer Kichererbse mit zwei Cyathi Wassers zu geniessen, denn dieses befördert die Men- struation. Oder auch: Je zwei Obolen von Opopanax, vom Kyre- naischen Safte und vom Safte der Raute mit Wachs als Pillen zu formen und zu verschlucken3); es ist dann gewässerter Wein nachzutrinken oder dieses Mittel selbst in gewässertem Weine zu geniessen. Oder einen Trank bestehend aus je drei Obolen Levkoien- und Myrthensamen, einer Drachme Myrrhe und zwei Körner des weissen Pfeffers, in Wein drei Tage lang zu trinken. Oder eine Obole vom Raukensamen und 1/ 2 Obole Sphondylium vermischt mit Sauerhonig zu trinken.
Diese Mittel verhindern nicht nur die Conception, sondern zerstören auch das Produkt derselben. Unserer Meinung nach ist der von ihnen ausgehende Schaden doch ein ganz beträcht- licher, denn sie verderben den Magen und erregen Erbrechen, auch beschweren sie den Kopf und ziehen ihn in Mitleidenschaft. Manche gebrauchen Amulete in der festen Ueberzeugung von der antipathischen Wirkung derselben. Diese Amulete enthalten die Gebärmutter einer Mauleselin oder den Ohrenschmutz der- selben und derartiges mehr. Doch der Erfolg dieser Amulete ist trügerisch.
§ 64. Hat die Conception einmal stattgefunden, so hat man zunächst 30 Tage lang gerade den früher gegebenen Vorschriften entgegen zu handeln. Damit sich der Samen löst, soll man also auf dem Spaziergange sich stark bewegen, sich im Wagen tüchtig durchschütteln lassen, kräftig springen und übermässig schwere Lasten heben, harntreibende Dekolcte geniessen und das Monat- liche in Fluss bringen, scharfe Klystire geben, welche den Unter- leib ausspülen, mit süssem und warmem Oele bald injiziren bald tüchtig salben und reiben am ganzen Körper, besonders aber die Scham, den Unterleib und die Lende, täglich sich in einem
!) Dioscor. V, cap. 17.
2) Alexander Trall. ed. Puschmann I, 406.
3) xattmveiv = verschlingen etc , nicht blos von Fluidis.
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süssen Wasser waschen, welches nicht zu heiss sein darf, in dem Bade längere Zeit verweilen, vor dem Bade einen schwachen Wein trinken und scharfe Speisen dazu essen. Ist dieses noch nicht von Erfolg, so soll man sich mit jenen Körpertheilen in eine Abkochung von Leinsamen, Bockshorn, Malve, Althaea, Artemisia setzen und mit diesen auch jene Theile bähen, Injek- tionen vornehmen mit altem Oel und zwar für sich allein oder in Mischung mit Rautensaft oder Honig, ferner mit Irissalbe oder Absinth gemischt mit Honig oder Opopanax oder mit Graupen- schleim in Mischung mit Raute und Honig, oder mit Syrischer Salbe1). Tritt der Abortus dann noch nicht ein, so soll man nicht länger die gewöhnlichen Salben anwenden, sondern über- gehen zu Salben aus feinem Bohnenmehle gemischt mit Stier galle und Wermuth und derartigen Umschlägen.
§ 65. Steht der Eintritt des Abortus bevor, so soll man 2 oder 3 Tage vorher öfter baden, wenig geniessen, erweichende Mutterzäpfchen an wenden, sich des Weines enthalten, schliesslich zur Ader lassen und kräftig abführen. Der Ausspruch des Hippo- krates in den Aphorismen: „Jedes schwangere Weib erleidet einefr Abortus, wenn ihm zur Ader gelassen wird“ trifft zwar nicht bei einer mit straffer Faser versehenen, doch immer bei einer ge- sunden Frau zu. Denn wie Schweiss, Harn und Koth ausge- sondert werden, sobald die ihre Substanz umfassenden Theile er- schlaffen, so fällt auch die Frucht heraus, wenn der Uterus sich zu früh eröffnet. Nach dem Aderlass soll man sich im Wagen durchrütteln lassen, denn die Erschütterung ist wirksamer, wenn die Geschlechtstheile vorher erschlafft sind. Auch aufweichende Mutterzäpfchen soll man gebrauchen. Sollte aber die Frau für den Aderlass zu schwach sein, so muss man die Geschlechtstheile zu- nächst durch Sitz- und andere Bäder, erweichende Mutterzäpfchen, Wassertrinken, Fasten, Abführmittel schlaff machen, auch kann man ein aufweichendes Mittel als Klystier an wenden, dann aber muss man ein die Frucht tödtendes Mutterzäpfchen gebrauchen. Zum Pes- sarium darf man nicht zu scharfe Mittel wählen, auf dass sie nicht ein Allgemeinleiden und Fieber herbeiführen. Solche milderen Mittel sind: Myrrhenöl, Levkojensamen, bittere Lupinen zu gleichen Theilen sind zu Zeltchen von der Grösse einer Bohne zu formen. Oder: 3 Drachmen Rautenblätter, 2 Dachmen Myrrhe und eben- soviel Lorbeer sind mit Wasser zu digeriren. Ein anderes Mutter- zäpfchen, das fast ohne Gefahr abtreibt, ist folgendes: V ermische zu gleichen Theilen mit Wasser Levkoje, Ivardamus, Schwefel, Absinth, Myrrhe. A^or dem Gebrauch dieses Pessar’s soll man sich ganz baden oder wenigstens ein Sitzbad nehmen; tritt der Erfolg nicht ein, soll man Sitzbad und Pessarium wiederholen.
l) cfr. Alex. Trall. II, 304.
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Es sind noch viele andere Abortiva bei anderen Aerzten auf- geführt worden. Doch muss man stets sich vor solchen hüten, die stark wirken; ebenso ist die Loslösung des Embryo mit einem spitzigen Instrument zu verwerfen, weil die Gefahr, dass die um- liegenden Geschlechtstheile verletzt werden, doch gross ist.
Die Nachbehandlung nach stattgefundenem Abortus ist die- selbe wie bei jeder Entzündung.
Kapitel XX.
Die Vorzeichen einer normalen Geburt.
§ 66. Damit man die für die Geburt nöthigen Vorbereitungen treffen kann, muss man die Zeichen kennen, welche dem Eintritt der Geburt vorausgehen. Im 7., 9. oder 10. Monat werden die Frauen, welche der Entbindung nahe sind, von Schwere im Unter- leib und der Magengegend, von Brennen in den Genitalien, von Schmerzen in den Leistendrüsen, den Hüften und überhaupt in der Gegend unterhalb des Uterus befallen. Der Uterus senkt sich gegen die Vulva zu, so dass die Hebamme bei der Untersuch- ung ihn leicht betasten kann, der Muttermund sich lockert, sich öffnet und Schleim absondert. Im Verhältniss zur Annäherung an den Augenblick der Geburt fallen die Lenden zusammen, mit den Leisten schwillt zugleich der Venusberg an und es tritt anhalten- der Harndrang ein. Es entleert sich zunächst eine schleimige und feuchte Masse, dann bei den meisten auch Blut , indem die feinen Gefässe des Chorion bersten. Beim Touchiren kommt man auf eine runde Geschwulst, welche einem Ei gleicht.
Auch die Entzündung bereitet Schmerzen ; dieselbe wird daran erkannt, dass der Muttermund geschlossen und trocken ist.
Kapitel XXI.
Die Vorbereitungen für die Geburt1).
§ 67. Bei der normalen Geburt muss man folgende Sachen in Bereitschaft halten: Oel, warmes Wasser, warme Umschläge,
5) Ueber den Geburtsstuhl spricht auch der Chirurg Antyllus (Oribas II 425 ed Bussemaker et Daremberg). Hier werden gegen Hysterie Räucherungen auf dem öitppo 5 [Aatumxos empfohlen.
Ferner ist nachzulesen: Triller, Clinotechnia medica pag. 221 und 239.
Siebold, Geo Christoph, Commentatio de cubilibus sedilibusque usui obstetricio inservientibus. Gotting. 1790. 4. ^
In dem Rosengarten des Eucharius Röslin, Ausgabe 1394 findet sich hol. 25 eine entsprechende Abbildung. (Diese Edition ist betitelt: Hebammenbüch- lein. Empfengknuss und Geburt dess Menschen etc.)
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weiche Schwämme, Wolle, Binden, ein Kopfkissen, Riechmittel, den Geburtsstuhl oder Geburtssessel, zwei Betten und ein zum Gebären passendes Zimmer. Das Oel dient zu Injektionen und Anfeuchtungen, das warme Wasser zur Abwaschung der Ge- schlechtstheile, die warmen Umschläge zur Hinderung der Wehen, die Schwämme zum Abwaschen, die Wolle zur schützenden Be- deckung der Geschlechtstheile, die Binden zu Windeln für das neugeborene Kind, das Kissen zum einstweiligen Platze für das Kind, bis auch die Nachgeburt abgegangen ist, die Riechmittel, wie z. B. Polei, armenischer Bolus, gebranntes Mehl, Quitte und wenn es die Jahreszeit gestattet, auch Citrone, reife Melonen* 1) und ähnliches, zur Erfrischung der Gebärenden.
§ 68. Auf dem Geburtsstuhle soll die Gebärende gut (fest) sitzen. In der Mitte des Stuhles und dort, wo die Genitalien ruhen, soll ein kleiner halbmondförmiger Raum ausgeschnitten sein. Dieser darf nicht zu gross, damit die Frau nicht bis zu den Hüften einsinke, noch zu klein sein, da sonst die weibliche Scham gepresst wird, was noch lästiger ist. Denn eine Höhlung, die zu weit ist, kann man mit Leinwand zustopfen. Die Stuhlplatte sei derartig, dass auch recht starke Weiber darin Platz haben, die Höhe im V erhältniss dazu. Kleineren Personen kann eine Fuss- bank nachhelfen. Der unter dem Sitze befindliche Theil des Stuhles soll an den Seiten mit Brettern beschlagen , vorne und hinten dagegen offen sein zur Verwendung beim Geburtsakt. Ueber dem Sitze sollen an beiden Seiten 2 Ouerhölzer von der
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Gestalt des Buchstaben TT eingefügt sein, damit man in diesen bei den Anstrengungen die Hände der Gebärenden stützen kann, im Rücken befinde sich eine Lehne, welche den Hüften und dem Becken das Zurückweichen unmöglich mache. Denn würde in dem Augenblicke, wo die Frau sich zurückbeugt, auch die Lehne nachgeben, so entstände eine regelwidrige Haltung, die hindern würde, dass das Kind gerade heraüskommt. Einige wollen am unteren Theile des Stuhles noch einen hervorragenden Balken angebracht wissen, der an beiden Enden Kurbel und Achse trägt zu dem Zwecke, um beim Herausziehen des Foetus Schlingen zu verwenden, welche man um die Arme nahe beim Ohre oder um andere Körpertheile des Embryo wirft, und welche man dann mit den Enden an den Pflock bindet, um so mittelst Drehung der Kurbel die Herausziehung des Embryo zu bewerkstelligen.
Bei Jakob Ru eff, de conceptu et generatione hominis. Tiguri 1554 ist das Bild des Sedile auf Folio 21.
Walter Ryff copirt Fol. 102 den Röslin und fügte noch eine zweite Ab- bildung eines Geburtsstuhles bei, der wegen steilerer Lehne vielleicht weniger zweck- mässig ist. Alle diese Geburtsstühle entsprechen mehr oder weniger der Beschreib- ung des Soranus.
1) cfr. Alexander Trall. I. 366.
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Dabei ist aber die allgemeine Regel ausser Acht gelassen, dass bei einer Schwergeburt das Herausziehen nur bei liegender Stel- lung der Frau zu geschehen hat. Der Geburtsstuhl muss so sein, wie wir ihn beschrieben haben, ausserdem kann auch ein Sessel zugelassen werden, der vorne oder hinten ausgeschnitten ist. Der Höhlung- wird hinten in der Regel noch ein mit Leder be- nähtes Polster hinzugefügt. Von den beiden Betten muss das eine weich und gepolstert sein, auf welchem das Weib gleich nach der Geburt ruhen kann, das andere dagegen, auf welchem die Frau in liegender Stellung zu gebären hat, soll hart sein, damit es nicht nachgiebt. Die Füsse sollen aneinander gestellt sein, die Schenkel gespreizt liegen und unter die Hüften muss eine Stütze gelegt werden, damit die Genitalien nach abwärts ge- richtet sind.
§ 6g. Die Schmerzen mildert man zunächst durch Berührung mit warmen Händen, dann taucht man Leinwand in warmes und süsses Oel und macht solche Umschläge auf das Epigastrium und die Schamlefzen und spritzt fortwährend mit warmem Oel. Auch kann man eine mit warmem Oel angefüllte Blase verwenden. Hat sich der Muttermund schon etwas geöffnet, so soll die Heb- amme ihre Hände mit warmem Oel benetzen, den Zeigefinger der linken Hand, dessen Nagel vorher zu beschneiden ist, ein- führen und damit sanft und allmählich den Mund weiter öffnen, auf dass der vorstehende Theil des Chorion vorfällt, mit der rechten Hand aber die Genitalien fortwährend mit Oel bestreichen, ° wobei sie jedoch ranzig gewordenes Oel sorgfältig zu vermeiden hat. Wird die Gebärende in dem Augenblicke, wo der unterhalb des Muttermundes herausragende Theil des Chorion ungefähr die Grösse eines Eies erlangt, schwach und ohnmächtig, so soll man sie in horizontaler Lage liegend entbinden, weil diese Art des Gebärens weniger Qual und Furcht erregt. Zeigt sie sich aber stark, so soll sie aufstehen und sich auf den sogenannten Ge- bärstuhl setzen. Einer Erkältung ist durch Erwärmen und Be- netzen mit warmem Oel vorzubeugen. Auch die Füsse sind mit einer Decke zu schützen
Drei I rauen sollen der Gebärenden dienend zur Seite stehen. Sie haben mit tröstenden Worten ihr über die Gefahr hinweg- zuhelfen, wozu es nicht erforderlich ist, bereits selbst Geburten durchgemacht zu haben. Zwei von ihnen stehen an der Seite, eine hinterm Rücken der Gebärenden und verhindern, dass diese wahrend der Wehen nach vorn rutsche. Ist kein Gebärstuhl zur Hand, so kann man dieselbe Lage dadurch erzielen, dass man die Gebärende sich auf die Schenkel einer Frau setzen lässt. Diese krau muss aber recht kräftig sein, denn sie hat einmal die Last
So ran US, Ueber die Krankheiten des weiblichen Geschlechtes.
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der auf ihr sitzenden Frau zu tragen und dann während der Wehen sie zu halten.
Die Hebamme selbst endlich hat in reinlichem Kleide der Gebärenden gegenüber, aber etwas niedriger zu sitzen. Denn das Herausziehen der Frucht erfolgt von oben nach unten. Dass sie in hockender Stellung arbeite, wie einige riethen, ist läs- tig und unschicklich. Ebenso verhält es sich mit der Forder- ung Heron’s1), der verlangt, dass sie in einer Vertiefung stehe, damit sie nicht die Hände von oben nach unten zu bewegen brauche. Dieser Vorschlag ist einmal unschicklich und dann auch in zweistöckigen Häusern einfach unausführbar. Die Hebamme soll so der Gebärenden gegenüber sitzen, dass sie die Ober- schenkel auseinanderspreizt und den linken ein wenig zurückzieht, damit die linke Hand leicht wirken kann. Die seitlichen Füsse des Stuhles rathen wir zu bedecken. Die hinteren Theile des Stuhles sind von der beistehenden Frau zu besetzen, welche die Compresse aus Wolle unterzulegen hat. Denn den Damm muss man stützen, weil in Folge der Anspannung oft Vorfälle und Einrisse Vorkommen. Auch ist es gut, der Kreissenden in das Gesicht zu blicken und ihr Trost zuzusprechen, ihr alle Furcht vor Gefahr zu nehmen und ihr eine glückliche und gute Ent- bindung voraus zu verkündigen.
Ferner soll man ihr rathen, die Luft in die Weichen ohne Schreien eindringen zu lassen, aber unter Seufzen und Anhalten des Atherns. Schon manche Unwissende haben durch Verhalten der Luft in der Brust, anstatt sie nach unten zu treiben, einen Kropf ver- anlasst Um daher der Luft ungehinderten Durchgangzu verschaffen, ist es zweckmässig den Gürtel zu lösen und die Brust von jeder Binde frei zu machen. Massgebend ist dabei jedoch nicht die gewöhnliche Anschauung, dass die Weiber nicht gerne eine Binde tragen. Aus demselben Grunde ist auch das Haar zu lösen, denn die Lösung des Haares bewirkt Stärkung des Kopfes. Auch soll man sie auffordern, angestrengt zu athmen, die Wehen zu verarbeiten und, wenn sie da sind, mitzuwirken. Die Hebamme mag es vermeiden, andauernd ihre Augen auf die Schossgegend zu richten, damit nicht der Körper sich aus Scham zusammen- ziehe. Mit dem Finger soll sie den Muttermund und die Scham- lippen durch kreisförmige Bewegungen ausrunden
und der Muttermund zieht sich bald zurück, bald steht er tiefer.
Mit der grössten Aufmerksamkeit und Vorsicht soll die Heb- amme die Finger zur Zeit der Eröffnung einführen und den Em- bryo anziehen; indem sie nachlässt, wenn die Gebärmutter sich kontrahirt, und anzieht, wenn die Wehe nachlässt. Wenn man
l) Celsus, Lib. VII. Prätalio und cap. 14.
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zur Zeit der Wehe anzieht, kann Entzündung-, Blutung- oder Krampf der Mutter entstehen.
Die zur Seite stehenden Gehülfinnen sollen mit den Händen den Bauch nach unten drängen und reiben. Schliesslich soll die Heb- amme das Kind allein empfangen und zu diesem Zwecke die Hände vorher mit Leinwand oder, wie es in Aegypten Brauch ist, mit den Fasern der zarten Papyrosstaude bedecken, damit das Kind nicht zu Boden gleitet noch gequetscht wird, sondern sanft gebettet ist. Folg-t dem Kinde zugleich auch die Nachgeburt, so kann man in der Behandlung ungestört fortfahren. Bleibt die Nach- geburt jedoch zurück, so muss man das Kind der Mutter zur Seite legen
Kapitel XXII.
Die zurückgehaltene Nachgeburt1).
§ 71. Nach der Geburt des Kindes bleibt bisweilen die Nachgeburt zurück und führt dadurch Schwierigkeiten herbei, indem ^ie die Gebärmutter invertirt und zur Zusammenziehung veranlasst.-' Dadurch entstehen Schmerzen im Kopfe und im Unter- leibe, Krämpfe oder Erstickungszufälle. Dabei hängt das Chorion entweder noch am Nabel des Embryo oder es ist von ihm ge- trennt, indem die Geburt präcipitirt geschehen ist oder eine un- erfahrene Hebamme es abgerissen hat, oder es liegt versteckt oder ragt nur zum Theil hervor; es kann aber auch am Uterus angewachsen sein und daran fest hängen oder davon gelöst sein, indem der Muttermund bald verschlossen, bald geöffnet ist, und bald entzündet ist, bald nicht.
Hippokrates gebraucht dagegen Niesmittel und drückt während des Niesaktes die Nasenflügel zusammen, damit das Chorion durch das Eindringen der Luft in die Tiefe herausgestossen wird. Euryphon aus Knidos verordnet harntreibende Getränke
l) Die in diesem Kapitel von Soranus vorgeschlagene Therapie bei Placen- tarretention verräth einen hohen Grad von Einsicht. Die an den älteren Methoden geübte Kritik ist musterhaft.
Die Stellen bei Hippokrates finden sich: Aphorism. V. 49. (Niesmittel.) Epidem II. Sect. VI. Helleborus (Nieswurz) als Ptarmicum : De natura mulier. § 32.
Sehr ausführlich, ebenda § 56 und § 76.
EXs /.bvny.')z ist nach Sprengel, Hist, rei herb. I. 58 = Salvia triloba.
Illyrische Iris = Iris florentina (Theophrast, de causis plantar. VI. 11. 13. VI. 18. 12. Hier wird die illyrische Iris wegen ihres kräftigen Geruches der macedoni- schen vorgezogen.
Xm'pwv muss mit Nachgeburt übersetzt werden; die Placenta wurde von Sora- nus offenbar als Theil des Chorion angesehen; uayu? p.L v.i ft' 0 Ttpoo-stpuze vol Tcudusvi ti)? pj-pa; = die verdickte Portion, welche im Fundus Uteri angewachsen ist.
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aus Dictamnus und Elelisphakos und bluttreibende Pessarien aus Seifenkraut, Illyrischer Iris, spanischen Fliegen und Honig, auch Erschütterungen vermittelst einer Leiter, an welche die Kranke zu binden ist. Euenor, Sostratos und Appollonios aus Prusia rathen das hervorragende Ende zu fassen und so das Ganze herauszuziehen. Dion verordnet Getränke aus Elelis- phakos, Myrrhe und Petersiliensamen. Andere räuchern mit As- phalt, Menschenhaaren, Hirschhorn, Galbanum, Schwarzkümmel, Artemisia. Strato, der Schüler des Er asistratos, aber pflegte in einen silbernen oder ehernen Topf, welcher mit Zinn aus- gegossen war, starkduftende Kräuter, wie Nardus, Zimmet, auch Marrubium, Artemisia, Dictamnus, Lilien und Rosen, Honig zu legen, dann den Deckel festzuschliessen und eine Röhre damit zu verbinden, deren Ende in die weibliche Scham hineingebracht wurde, und so erwärmte er die Geschlechtstheile, indem er mit- telst geringen Feuers die Gefässe in Thätigkeit versetzte. Mantias legt das Kind zwischen die Schenkel der Mutter und lässt das Chorion durch dessen eigene Kraft und Bewegung hervorziehen; in dem Falle, dass das Chorion nicht mehr am Kinde festhängt, lässt er ein Bleigewicht an das hervorragende Ende hängen und so durch die Schwere das Chorion hervorziehen.
§ 7 2. Doch alle diese Methoden sind als unpraktisch zu ver- werfen. Denn die Niesmittel zunächst erschüttern heftig und lassen Hämorrhagien und für die Zukunft Nervenleiden befürchten. Die Mix- turen schaden dem Magen und erregen Erbrechen ; die bluttreiben- den Pessarien dagegen führen dadurch, dass sie ätzen und Geschwüre verursachen, Krämpfe, Kontraktionen und Allgemeinleiden herbei; ebenso veranlasst die Erschütterung gewaltsame Verletzungen. Mag das Anziehen der Nachgeburt geschehen wie es will, immer verursacht das Zerren eine Entzündung, und es lässt sich auch gar nicht ausführen, wenn der Muttermund geschlossen ist und das Chorion auch nicht mit dem kleinsten Theile vorfällt. Das Räuchern verschlimmert durch die Schärfe die Entzündung und beschwert den Kopf. Aus demselben Grunde ist die Dampf- entwickelung durch duftende Kräuter unzulässig und bei dem Verfahren, nach welchem eine Röhre mit dem einen Ende in die weiblichen Geschlechtstheile gesteckt und dann durch Leitung erhitzt wird, verbrennen die benachbarten Theile. Gefährlich ist es auch, vermittelst Anbindens eines Bleigewichts das hervorragende Stück mit Gewalt herauszuziehen und zumal dann, wenn bereits eine Entzündung vorliegt; denn ist die Schnur nur lose an das Chorion geknüpft, so gleitet sie ab, und ist sie fest verknüpft, hat dies Nervenreizung und Ohnmacht zur Folge. Auch ragt das Chorion nicht in allen Fällen heraus. Auch die Methode mittelst der Be- wegung der Kinder ist schädlich. Denn es muss methodisch das Ziehen stattfinden.
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r 73. Rängt die Nachgeburt noch an dem Nabel des Kindes, so soll die Hebamme das letztere einer der Gehülfinnen in die Hände legen, nachdem vorher Leinwand darunter gebreitet ist, dann aber längs der Nabelschnur, die als Wegweiser dient, die Hand einführen und durch sanftes Hin- und Herbewegen der- selben, wobei die Wöchnerin selber mithilft, ohne Reissen und Zerren die Nachgeburt herausbringen. Dauert dies zu lange, soll man das Kind von der Placenta lösen und dann in derselben Behandlung fortfahren. Ist die Nachgeburt überhaupt nicht an- gewachsen, so muss man in dem Augenblicke, wo man das Kind empfängt, den hervorragenden Theil ergreifen und sachte ziehen, und zwar muss man nachlassen, wenn der Muttermund sich zu- sammenzieht, dagegen anziehen, wenn er offen steht. Ragt kein Theil der Nachgeburt hervor, so soll man in den offen gebliebenen Muttermund die mit Oel bestrichene Hand einbringen, und wenn das Chorion von der Verwachsung mit dem Uterus vollständig frei und auf sich selbst zusammengerollt ist, dasselbe fassen und herausziehen. Im Falle es aber am Uterus angewachsen ist, soll man versuchen, die Nachgeburt so allmählich und sachte zu lösen, dass man die Finger in der Uterushöhle beiderseits herumführt. Manche haben in ihrem Unverstände schon durch heftiges, ruck- weises Ziehen Umstülpung des Uterus hervorgerufen. Folgt die Nachgeburt dem sanften Zuge nicht, oder ist der Muttermund ver- schlossen und entzündet, so soll man exspektativ verfahren und wie bei jeder Entzündung mit Injektionen, Umschlägen und warmer Nahrung behandeln. Wenn die Entzündung gehoben ist, so löst sich auch der Fremdkörper und wird durch die wässerige Trans- sudation abgeführt, wobei bisweilen jedoch auch das ganze Organ aus seiner Lage kommt, doch lässt sich dieses nach der Beseiti- gung der Entzündung leicht wieder reponiren. Bei manchen bleiben Reste von Drüsen x) zurück, die durch scharfe Säfte ent- standen sind. Das Chorion aber, welches mit seinen Gefässen in die Eingeweide eingewachsen ist, muss man mit Gewalt heraus- ziehen, man darf es nicht zurücklassen, so dass es erschlaffe und allmählich verfaule.
Kapitel XXIII.
Die Pflege der Wöchnerinnen.
§74
l) Wohl Placentarreste.
54
Kapitel XXIV.
Kapitel XXV.
Das Anschwellen der Brüste1).
§ 76. Auch die vorliegende Frage gehört in den Abschnitt über die Pflege der Wöchnerinnen. Bei dem Eindringen der Milch schwellen die Brüste und werden schwer, was man Chon- drosis (Hartwerden) nennt, dann schmerzen die Brüste und werden durch die Spannung heiss, welches Leiden Spargesis (Spannung- von Milch) heisst.
Wie bei jeder Entzündung so muss man auch hier zunächst darauf bedacht sein Einhalt zu thun, und zuerst solche Mittel anwenden, welche allmählich einen Stillstand des Uebels be- wirken. Solche Mittel sind : ein weicher Schwamm, welcher in ein Essiggemisch zu tauchen und fest umzubinden ist, oder Datteln, die mit Brot und Essig glatt und fein gerieben sind. Will man die Milch versiegen lassen, so verordne man Alaun oder Floh- kraut und Koriander oder Portulak. Nehmen trotzdem die An- spannung, Geschwulst und die Anschoppung noch zu, so ge- brauche man auch erweichende Umschläge. Derartige Um- schläge sind zu machen mit Brot, welches in einem Gemisch von Wasser und Oel oder von Wasser und Honig eingeweicht ist, oder mit Leinsamen und Weizen oder mit Bockshorn und Honig- wasser. Vermögen die Brüste eine solche Belastung nicht zu er- tragen, so soll man sie mit Umschlägen mit süssem und warmem Oele bedecken, nachdem man Wärme applicirt hat oder mit Schwämmen bähen, welche in warmem Wasser oder in einer Ab- kochung von Bockshorn oder Malve oder Leinsamen ausgedrückt sind; tritt Eiterung ein, so soll man die Flüssigkeit entleeren, wie wir in dem Werke über die Chirurgie erläutert haben. Wenn die
l) 'FuXXiov Flohkraut = Plantago Psyllium. Auch bei Plinius und Dioscorides erwähnt (Mater, med. IV. cap. 70).
Pyrite s (Dioscorides Alater. med. V. 142) ist Schwefelkies, man sehe auch Plinius XXXVI. 137: „Usus eorum in medicina excaliäcere, siccare, discutere, ex- tenuare, duritias in pus vertere.“
Kyperos-Salbe ebenda I. 4. von Cyperus rotundus L. Wird auch bei Alexander Trall. wiederholt erwähnt. Näheres bei Plinius Lib. XXI. § 118 (ed. Sillig).
Tribolos, ebenda. I. 579. cfr. Dioscorides, Mater, med. IV. cap. 15. Ob Trapa natans oder Tribulus terrestris hier gemeint ist, bleibt zweifelhaft. Plinius (ed. Sillig) Lib. XXII. § 27.
Entzündung im Abnehmen begriffen ist, so soll man nur noch Wachssalbe allein auf legen.
§ 77. Wird die Wöchnerin das Kind nicht selbst nähren, so kann man auch eine Quantität Pyrites der gehörig zerrieben ist, anwenden und dann die Brüste allmählich durch Um Wickelung zusammendrücken. Denn wenn die Gefässe zusammenfallen, so hört auch das Zuströmen der Milch auf und sie versiegt so. Nützt dies nicht, so muss man energisch mit Dampfbädern und festen Ver- bänden fortfahren. Es ist aber davor zu warnen, die Brüste bei den ersten widrigen Empfindungen auszusaugen, was vielfach in dem Glauben geschieht, dass das Aussaugen vermöge der dadurch be- wirkten Ausscheidung die Spannung lindert. Ganz im Gegentheil strömt dem Punkte des Aussaugens noch heftiger die Milch zu, auch schmerzen die Brustwarzen unter der Quetschung. Zu verwerfen sind ferner warme Bähungen in Salzwasser und in der Brühe von Salzwasser und Essig und in Meerwasser; denn die Schärfe stei- gert die Entzündung. Manche bestreichen auch die Brüste mit Kyperossalbe (cfr. Dioscorides, Mat. med. A. 4.) in Mischung mit Wein und Safran, andere mit Kyperosöl und zerriebenem Bim- stein, noch andere mit Kümmel in Wasser oder Oel oder mit Alaun, welches in Essig und Rosenöl gemischt wird bis zur Honig-Konsistenz. Viele machen Umschläge mit Kümmel zu- sammen mit Rosinen, ausgetrockneten Weinbeerkernen oder mit Sesam vermischt mit Honig, andere wieder mit den in Essig ab- gekochten grünen 'lribolen oder mit Epheu oder mit getrockneten Feigen, oder mit ebenso gekochter Kleie und für den Fall einer Anschoppung mit Eypich oder der wohlriechenden Minze oder mit Kohl vermischt mit Brot. Unter diesen Mitteln soll man die scharfen überhaupt nicht verordnen, unter den übrigen aber die- jenigen, welche zusammenziehen, im Anfangsstadium des Leidens meiden, und erst in der nächsten Zeit diejenigen, welche schmerz- stillend wirken und erschlaffen, anwenden.
Damit ist die trage der Pflege der Wöchnerin erledigt und es kommt die Untersuchung über die Behandlung des Kindes an die Reihe.
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Die Pflege des Kindes.
§ 78. Das Kapitel der Kindererziehung ist umfangreich und vielseitig. Folgende Fragen sind darin zu erledigen: Welche Frucht ist zur Aufziehung geeignet, auf welche Weise ist die Nabelschnur zu trennen, das Kind zu wickeln, zu reinigen und zu baden, wie ist es zu betten, welche Amme ist zu wählen, welches ist die beste Milch, was ist zu thun im Falle die Milch ausbleibt, wann und wie ist das Kind zu entwöhnen, wie verläuft die Dentition und die übrigen zeitweise auftretenden Symptome. Der Uebersichtlichkeit zu Liebe werden wir den Gegenstand in kurzen Kapiteln einzeln betrachten.
Kapitel XXVI.
Die Kennzeichen eines zur Aufziehung geeigneten
Kindes1).
§ 70. Die Hebamme hat das Kind unmittelbar nach der Geburt zunächst auf den Boden zu legen, zu untersuchen, ob es männlich oder weiblich sei, und das Resultat dieser Unter- suchung nach Weibersitte zu verkünden, sodann soll sie sehen, ob das Kind zur Aufziehung geeignet ist oder nicht. Ein Kriterium dafür ist zunächst, dass die Mutter zur Zeit der Schwangerschaft gesund war. Denn die Krankheiten des Kör- pers ziehen auch in der Regel die Frucht in Mitleidenschaft und untergraben die ersten Grundlagen ihres Lebens. Ferner muss das Kind zur rechten Zeit geboren sein, also im neun- ten Monat oder etwas später, bisweilen bereits im siebenten Monat. Sodann ist es erforderlich, dass das Kind, sobald es auf den Boden gelegt ist, sogleich kräftig schreie. Wenn es nämlich eine längere Zeit hindurch still ist oder nur ganz wenig winselt, so erweckt das den Verdacht, dass ihm irgend ein Unfall zuge- stossen ist und es leidet. Ferner müssen alle Glieder, Körper- theile und Sinneswerkzeuge in normalem Zustande, die Körper- öffnungen, wie die der Ohren, der Nase, der Speiseröhre, der Harnröhre, des Afters ganz frei, die Bewegungen jedes einzelnen Gliedes normal, nicht schwach und matt, ebenso die Beugung
1) ,,A.uf den Boden legen“, vergl. Ploss, das Kind I. 62. Humi positio in- fantum, römischer Rechtsbrauch.
und Streckung der Extremitäten, Grösse, Gestalt und Empfindung normal sein, welches letztere wir am besten durch Augenschein ermitteln, indem wir einen Druck mit dem Finger ausüben. Denn ganz natürlich ist es, dtfes jeder Stich und Druck schmerzt. Ein gegentheilig beschaffenes Kind ist nicht zum Aufziehen ge- eignet.
Kapitel XXVII.
Das Durchtrennen der Nabelschnur.
§ 80. Wenn sich das Kind ein wenig von dem durch die Geburt verursachten Shock erholt hat, soll man es autheben und die Trennung der Nabelschnur vornehmen. Es ist die Nabelschnur vier Finger vom Bauche des Kindes entfernt mit einem scharfen Instrument abzutrennen, damit keine Verletzung veranlasst werde. Das beste Material zum Schneiden ist Eisen. Doch die Mehrzahl der Hebammen hält es für besser, die Nabelschnur mit einem Nagel, Schilf oder Muschel oder einer dünnen Brotrinde abzu- sägen, oder mit einem Faden gewaltsam abzubinden, denn sie glauben, dass der Gebrauch des Eisens gleich in der ersten Zeit von unglücklicher Vorbedeutung sei. Doch dies ist lächerlich, denn dann müsste auch das Weinen Unglück bedeuten und doch be- ginnt damit die Frucht ihr Leben. Damit nun nicht der Körper unter dem Sägen und Drücken sich eine Verletzung zuziehe, ist es schon besser den Aberglauben bei Seite zu lassen und die Nabelschnur mit einem Messerchen durchzutrennen und dann den Inhalt auszudrücken, der in nichts anderem als geronnenem Blute besteht. Das Ende des Durchschnitts ist sodann mit Wolle, einem Wollfaden, einer Flocke oder ähnlichem abzubinden. Denn der Leinenfaden schneidet in den weichen Körper ein und erregt so unerträgliche Schmerzen. Die Unterbindung dieses Theiles ist deshalb nothwendig, damit nicht gefährliche Blutung entstehe, denn die darin befindlichen Gefässe waren dazu bestimmt, aus dem Körper der Schwangeren Blut und Luft dem Körper des Kindes zuzuführen. Manche haben dann noch nach der Tren- nung den Nabel mit einer heissen Röhre oder der breiten Fläche der Sonde ausgebrannt, ein Verfahren, welches unsere Billiguno- mcht findet, denn das Brennen erzeugt an den betreffenden Theilen heftige Schmerzen und Entzündung. Ist die Nachgeburt noch im Uterus zurückgeblieben, so muss man den Nabelstrang an zwei stellen unterbinden und dann dazwischen durchschneiden Durch
ein® LlgatUr wird beim Kinde, durch die zweite bei der
■ U\7’Cru- verhütet. Denn das Chorion ist noch mit letzterer
in Verbindung.
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Kapitel XXVIII.
Die Reinigung des Kindes').
§ 8 1 . Nach vollzogener Omphalotomie tauchen die meisten Barbaren, namentlich die Germanen, Scythen und auch manche griechische Stämme, das Kind in kaltes Wasser, theils um es abzuhärten, theils um zu prüfen, ob es die Kälte zu ertragen ver- möge, und es, im Falle es erbleiche und Zuckungen bekomme, als zum Aufziehen untauglich zu tödten. Manche waschen in einem Gemisch von Salzlake und Wein oder in reinem Weine, andere in dem Urin eines gesunden Kindes, noch andere wieder bestreuen es mit Pulver von Myrte oder Galläpfeln. Nicht eine einzige dieser Methoden können wir billigen. Denn das kalte Wasser ist überhaupt schädlich, weil es eine starke und plötz- liche Zusammenziehung verursacht, welche dem neugeborenen Kinde ungewohnt war. Der erwachsende Schaden tritt bei den weniger empfindlichen Naturen nicht immer sofort zu Tage, doch bei den schwachen zeigt er sich sofort, indem sie von Krämpfen und Schlagfluss befallen werden. Damit, dass Kinder diese Schädlichkeit nicht ertragen konnten, ist noch nicht erwiesen, dass sie auch dann nicht hätten leben können, wenn diese Schäd- lichkeit ihnen gar nicht zugefügt wäre; sogar die stärkeren Na- turen werden sich besser aufziehen lassen, wenn man jede Schä- digung ferne hält. Ist eine Abkühlung nothwendig, so genügt die an der Luft; schon bei dieser weint das Kind sofort, weil die Kälte ihm ungewohnt ist, denn es ist ja erst aus der allezeit warmen Gebärmutter herausgekommen. Der Wein ist durch die Verdunstung schädlich und betäubend nicht nur bei so zarten Kindern, sondern auch bei Erwachsenen. Auch der Urin ist zu verwerfen, weil er übel riecht. Myrtenpulver und Galläpfel ziehen zwar zusammen, reinigen aber nicht. Es ist demnach ein Ver- fahren nothwendig, das adstringirt und zugleich reinigt, damit die natürliche Kruste klebrigen Blutes vom Körper abgespült und zugleich die Haut fest und gegen Hautkrankheiten widerstands- fähig wird.
§ 82. Deswegen ist folgende Salzkur anzuordnen. Man nehme ganz fein geriebenes Salz oder Soda oder Aphronitron (cfr. Dios- corides V., cap. 130) und bestreue damit das neugeborene Kind
1) oceppoviTOiv cfr. Sprenge], Commentar in Dioscoridem. Das vrcpov der Alten ist Soda = Kohlensaures Natron -f- Wasser. Herodot berichtet, dass die Aegypler damit ihre Leichen beizten. Plinius Lib. XXXI. beschreibt die Gewinnung aus den ägyp- tischen Natronseen (Unterägypten). .
Fr. Harless (Janus I. 455. 1845) Ueber das Nitrum der Alten (wichtige
Abhandlung).
unter sorgfältiger Schonung der Augen und des Mundes. Denn an diesen Theilen veranlasst es Geschwürsbildung, Brennen und Ersticken. Auch darf man nicht zu viel Salz aufstreuen, denn die grosse Schärfe ätzt leicht die noch moosartig zarte und schwache Konstitution. Anderseits darf die Menge des Salzes auch nicht zu gering sein, um eine genügende Abhärtung der Oberfläche zu erzielen. Ist das Kind sehr zart, so ist es immerhin gut, dem Salz Honig oder Oel, Gerstensaft oder Bockshorn oder Malve hinzuzuthun. Ist der Körper damit abgerieben, so muss man ihn in lauwarmem Wasser waschen und die ganze daran klebende schleimige Masse abspülen, dann ist das ganze Verfahren zu wiederholen, nämlich mit Salz zu bestreuen, in noch wärmerem Wasser zu waschen, mit den Fingern den Schleim aus den Nasen- löchern zu entfernen, ebenso sind auch der Mund und die Ohr- öffnungen zu reinigen und die Augen mit Oel zu benetzen. Denn es ist gut auch aus den Augen die dicke Feuchtigkeit zu ent- fernen ; geschieht es nicht, so ist in der Regel Schwachsichtig- keit die Folge. Mit dem kleinen Finger, dessen Nagel vorher zu beschneiden ist, ist der After zu erweitern und der dünne, membranartige Körper, der in vielen Fällen rings herum ange- wachsen ist, zu durchtrennen, damit die Exkremente ungehin- derten Abschluss finden. Sofort leert sich auch die Masse aus, welche man gewöhnlich Meconium (Kindspech) nennt. Auf den Nabel lege man ein mit Oel getränktes gefaltetes Läppchen oder auch einfach Wolle. Römischer Kümmel (Cyminum) ist als zu scharf zu verbieten. Manche haben den Rest des Nabelstranges an den Schenkel angebunden, es ist aber schon empfehlenswerther, ihn doppelt zu falten und mit Wolle zu umwickeln und dann mitten auf den Nabel zu legen. Denn durch den Druck wird der Nabelrest bald zweckmässig abgeplattet.
Kapitel XXIX.
Das Wickeln des Kindes1).
§ 83. Nach der Salzbehandlung und dem Waschen erfoRt das Wickeln des Kindes. Anti gen es empfiehlt die Thessalische Methode. Er legt zunächst auf ein wannenförmig ausgehöhltes und längliches Brett ein Kissen aus Heu oder Spreu, breitet da- rüber Linnen, legt dann das Kind darauf, das selbst bis zur Hüfte m Leinwand und Binden gehüllt ist, und bindet es dann mit Gurten lest, die durch die Löcher gezogen werden, welche an den Seiten des Brettes angebracht sein müssen. Doch dies ist ein lästiges
1) Ueber das Ordnen der Glieder sehe
man Ploss 1. c. I. 299.
liO
und hartes Verfahren. Man soll vielmehr jedem Körpertheile seine natürliche Gestalt geben und demnach, wo irgend ein Theil während der Geburt etwas verdreht ist, diesen wieder richten und zur natürlichen Form zurückführen. Ist eine Stelle in Folge von Quetschung angeschwollen, so muß man sie mit einer Misch- ung von Bleiweiss und Wasser oder mit Bleiglätte salben. Die Hebamme lege das Kind sachte auf ihren Schoos, welchen sie vorher mit Wolle oder einem Laken zu bedecken hat, damit sich sein nakter Leib beim Einwickeln der Glieder nicht erkälte. Sie nehme Binden aus Wolle, welche rein, weich und noch nicht oft gebraucht sind; von diesen seien einige 3 Finger, andere 4 Finger breit. Wollene Binden sind wegen ihrer stofflichen Weichheit zu wählen, während leinene im durchschwitzten Zustande arg drücken. Weich müssen die Binden sein, damit sie nicht den noch zarten Gliedern, welchen sie Schutz gewähren sollen, Schaden anthun. Ferner sollen sie reinlich und somit leicht und nicht schwer sein, sie dürfen nicht übel riechen und die Haut reizen (da sie ja mit Soda imprägnirt sind). Auch sind solche Binden zu wählen, welche noch nicht oft gebraucht sind. Ganz neue sind nämlich schwer, ganz abgetragene besitzen keine Wärme mehr, sind auch zuweilen rauh und immer leicht zerreissbar. Auch dürfen sie keine Falten oder Säume haben, damit sie nicht in’s Fleisch einschneiden und bald zu fest, bald zu locker anliegen Ferner sollen sie von mässiger Breite sein, denn die schmalen schneiden und die breiten drücken zwar nicht, werfen aber Falten. Drei Finger Breite mögen die haben, welche den Gliedern sich anschmiegen sollen, und vier Finger, welche für den Brustkorb bestimmt sind.
§ 84. Man nehme nun das Ende der Binde und lege es am Vorderarm an, wickle sie dann ringsherum um die ge- streckten Finger, den Vorderarm, den Ellenbogen und Oberarm, dabei ziehe man sie an den Handknöcheln ruhig stramm an, lockerer aber an den übrigen Theilen bis zur Achsel. Ebenso verfahre man bei der Einwicklung der anderen Extremität; den Rumpf umwickle man mit einer breiteren Binde und zwar so, dass man bei den männlichen Kindern die Binde überall gleich- mässig stramm zieht, dagegen bei den weiblichen die Gegend der Brustwarzen etwas enger schnürt, die Hüftegegend dagegen locker lässt. Denn diese Methode eignet sich besser für das weibliche Geschlecht. Danach wickle man jeden Schenkel für sich besonders ein. Denn würde man sie in entblösstem Zustande beide aneinander binden, so könnte leicht eine Hautreizung entstehen, wie ja über- haupt in Fällen, wo Körper zur Zeit, da sie noch zart sind, neben einander gelegt werden, gar ba!4 eine Entzündung eintritt. Die Einhüllung in die Binden soll sich bis zu den Fingerspitzen er- strecken, sie soll locker sein an den Schenkeln und Waden, da-
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gegen kompress an den Stellen des Knies und der Kniekehle, an den Fussrücken und den Knöcheln. Auf solche Weise werden die Füsse an der Spitze breiter und der Mittelfuss wird schmäler. Danach lege man die Arme an die Seiten, die Füsse aneinander und umwickle dann das ganze Kind von der Brust bis zu den Füssen mit einer breiten Binde. Dadurch, dass die Hände ein- gefatscht werden, gewöhnen sie sich an die gestreckte Haltung. Das Zusammenbinden der Glieder auf eine längere Zeit macht die Sehnen derartig dick, dass sogar Gelenksteifigkeit auftreten kann. Das Einwickeln der noch zarten Hände hindert, dass sie durch ungeschickte Berührungen verdreht werden. Es ist schon so oft vorgekommen, dass die Kinder mit den Fingern an die Augen fahren und so das Sehorgan schädigen. Ferner mag man zwischen die Fussknöchel, die Kniee und die Ellbogen Wolle einlegen, damit sich diese hervorstehenden Theile nicht durch den stärkeren Druck, dem sie ausgesetzt sind, und in Folge des An- liegens der Theile verschwären. Das Köpfchen soll man damit schützen, dass man es rings herum in ein Laken oder in weiche und reine Wolle hüllt. Es kann auch vorher unter den Rücken ein langes und breites Linnen oder Wrolle gebreitet werden. Ferner soll man nach der obigen Einwicklung ausser der einen allgemeinen, sich zu äusserst befindenden und alle Glieder zu- gleich einhüllenden Binde noch das untergelegte Laken von Lein- wand oder Wolle doppelt nehmen, nämlich einmal für die unteren Theile unterhalb des Halses und dann für das ganze Kind mit Ausnahme des Kopfes. Schliesslich umwickle man mit einer breiteren Binde — sie möge ungefähr eine Breite von fünf Fingern haben das ganze Kind und bedecke den Kopf, wie oben ange- geben. Man kann auch zwei Laken unterbreiten ; das eine von der nöthigen Länge soll den ganzen Körper einhüllen, das andere nur die Hüften umhüllen und zur Aufnahme des Kothes dienen. Denn man darf nicht in der Annahme, es wirke allzu beschwerend, nur die Brust sammt Epigastrium umhüllen, die übrigen Theile. aber unumwickelt lassen, wie ich früher gezeigt habe.
Kapitel XXX.
Die Lagerung des neugeborenen Kindes1).
. § ®5- Sodann hat die Lagerung des Kindes zu erfolg-en,
doch darf diese nicht auf einem harten und festen Lao-er ge- schehen, wie es z. B. die Thraker und Macedonier machen, welche das neugeborene Kind auf ein glattes Brett binden, um dem
J) Ploss, das Kind II. 50.
Nacken und dem Halse eine breite Form zu geben. 'Denn durch die Härte der Unterlage wird leicht Quetschung und Eiterung am Körper, sowie Missgestaltung des Kopfes verursacht, und selbst zugegebenes sei jene Form schön, so kann dieser Zweck auch durch Formen beim Baden ohne Gefahr und ohne andere Theile in Mitleidenschaft zu ziehen, erreicht werden. Andererseits darf das Lager auch wieder nicht gar zu weich sein, es könnten sonst in Folge des starken Nachgebens Rückgrat und Nacken ver- krümmt werden. Das Kind ist also auf einem mässig weichem Lager zu betten, so nehme man z. B. ein mit Wollflocken oder auch mit weichem Heu gefülltes Kopfkissen. Das Lager soll eine Hohlrinne darstellen, damit sich das Kind auf demselben nicht herumwälzen kann. Der Kopf muss hoch liegen und man soll ihn nicht tief in die zum Lager hergerichtete Wiege legen. Die Oberdecken müssen je nach der Jahreszeit wärmer oder durch- lässiger sein, die Unterdecken entsprechend ausgelüftet und häufig gewechselt werden, damit das Kind sich einmal nicht erkälte und andererseits nicht in übler Ausdünstung liege. Zu demselben Zwecke, um nämlich Wohlgeruch zu erzielen, haben manche Lorbeer- und Myrthenblätter ausgestreut, doch andere wider- riethen diesem Verfahren, da der Duft zugleich auch betäube.
Das Zimmer sei reinlich und mässig warm, es darf keinen starken Zug haben, noch allzu hell sein. Gut ist, wenn man ausserdem für reichliche Lüftung sorgt und um das Lager einen Umhang von Gaze zieht, um die Mücken abzuhalten.
Kapitel XXXI.
Die Nahrung des Säuglings1).
§ 86. Nach der Wicklung und Lagerung des Säuglings soll dieser ruhen und ihm wenigstens in den ersten zwei Tagen keine Nahrung gereicht werden. Denn das Kind wird in diesen Tagen von allen Seiten hin- und herbewegt, auch ist der Körper noch ganz mit der mütterlichen Nahrung angefüllt, welche es erst verdauen muss, bis es seiner Zeit wieder neue Nahrung zu sich nimmt. Etwas anderes ist es, sollte sich früher Appetit zeigen. Woran man den Eintritt des Appetites merkt, werde ich später erörtern. Nach dieser Pause darf man eine Speise zum Auslecken verabreichen, aber ja nicht Butter, denn diese ist schwer verdaulich und schadet direkt dem Magen. Ebensowenig Abro- tanum (Stabwurz) mit Butter, denn dies ist zu scharf und verur-
l) Damastes, richtiger ist wohl die Lectio von Ermerins: ,, Demosthenes“. Welcher Demosthenes hier gemeint sei, steht dahin, der bekannte Demosthenes Philaletes, der Okulist, diitfie es kaum sein.
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sacht deswegen Durchfall; auch nicht Nasturtium noch Gersten- mehl, denn auch das Nasturtium ist zu scharf und Gersten mehl verursacht durch seine rauhe Beschaffenheit Entzündung, kratzt überhaupt beim Niederschlucken. Dagegen ist massig gekochter Honig empfehlenswert!!. Denn alles Rohe ist scharf und erregt Blähungen, das übermässig Gekochte aber stopft in hohem Grade, während das mässig Gekochte Magen und Gedärme reinigt. Es ist der Mund des Säuglings zunächst mit dem Finger gelinde zu salben und dann lauwarmes Honigwasser einzuträufeln. Auf solche Weise wird das Rohe und Dicke der Materie verdünnt, der Appetit gesteigert, indem sich das Kind des Genusses erinnert, der Schlund öffnet sich, die Verdauung der Nahrung geht auf leichte Weise nach Reinigung der Kanäle vor sich; so wird die ganze Konstitution genährt.
§ 87. Nachdem so der Säugling an diesen beiden Tagen gepflegt ist, kann man ihm am folgenden und den nächsten Tagen Milch von einer guten Amme reichen. Die Milch der Mutter ist in den ersten zwanzig Tagen in der Regel unbrauchbar, denn sie ist dick, käsig, schwer verdaulich, roh und schwer zu verarbeiten, ganz natürlich, da sie Körpertheilen entströmt, welche krank und gestört waren und die grosse V eränderung, welche jede Geburt zur Folge hat, erlitten haben, während der Körper abgezehrt, schwach und in Folge starken Blutverlustes bleich ist und in der Regel fiebert. Aus diesen Gründen ist die Verordnung von Muttermilch thöricht, so lange noch nicht der Körper wieder in die normale Verfassung zurückgekehrt ist. Eben deswegen ist auch Damastes (Demosthenes, Ermerins) zu tadeln, wenn er fordert, die Mutter solle dem Kinde sofort die Brust reichen, denn die Natur habe vorsorglich die Milch früher bereitet, damit das Kind sofort die dienliche Nahrung habe. Besonders sind so auch alle zu tadeln, welche seine Ansicht sich zu eigen gemacht haben, wie diese ja auch sein Buch geradezu des Apollo würdig genannt haben. Durch überredende Sophistik wollen sie den klaren Sach- verhalt bekämpfen. Ist nicht gleich eine Amme zur Hand, die reichlich Milch zu bieten vermag, so soll das Kind in den ersten drei Tagen nur Honig, vielleicht auch in Mischung mit Ziegen- milch erhalten, sodann kann es die Mutterbrust bekommen, doch muss diese vorher durch ein Kind ausgesogen werden, denn sie ist zu dick, oder durch sanften Druck mit den Händen entleert werden, denn die dicke Substanz kann bei Neugeborenen weo-en der Weichheit des Zahnfleisches leicht stecken bleiben. Wenn aber Weiber zur Hand sind, welche säugen können, so muss man unter diesen die brauchbarste auswählen, doch ist die Mutter nur dann vorzuziehen, wenn auch sie alle Eigenschaften hat, die man bei den besten Ammen voraussetzt. Denn bei sonst gleichen Be- mgungen ist es bessei, das Kind mit Muttermilch zu nähren.
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Sie ist ihm schon deshalb angemessener, weil Mütter zu den eigenen Kindern natürlich viel mehr Liebe haben. Und dann ist es ja auch der Natur ganz entsprechend, wenn das Kind wie vor so auch nach der Geburt von der Mutter genährt wird. Sprechen jedoch Gründe gegen das Stillen der Mutter, so soll man die brauchbarste Amme wählen, auf dass die Mutter nicht vor der Zeit altere, denn das tägliche Aussaugen der Brüste nimmt sie sehr mit. Wie nämlich das Ackerland, wenn es nach der Saat Früchte gezeitigt hat, dadurch an Kraft verliert, ja für län- gere Zeit unfruchtbar wird, so wird auch die ihr Kind selbst nährende Mutter vor der Zeit alt, denn sie nimmt nur für einen Körper Nahrung, und der durch Ernährung des Kindes erlittene V erlust führt Abmagerung herbei.
Sonach ist es schon besser, die Mutter denke an die Stärkung ihrer Kräfte und erhole sich für weitere Geburten als dass die Milchdrüse fortwährend funktionire. Denn wie von den Gärtnern die Gemüsepflanzen in anderen Boden gesät, in anderen Boden dann verpflanzt werden zur richtigen Vollentwicklung, damit nicht die Erde zu beiden Zwecken untauglich werde, so wird auch das Kind kräftiger, wenn es die Nahrung von einer anderen als der Mutter empfängt, im Falle letztere durch irgend ein Leiden ge- hindert ist selbst zu nähren.
Kapitel XXXII.
Die Auswahl der Amme1).
§ 88. Die Amme, welche man wählt, darf nicht jünger als zwanzig und nicht älter als vierzig Jahre sein, soll bereits zwei- oder dreimal vorher geboren haben, sie soll frei von Krankheit, von kräftiger Konstitution, wohlgebautem Körper und gesundem Teint sein. Die Brüste sollen normal, locker, weich, ohne Runzeln, die Warzen weder zu gross noch zu klein, weder zu hart noch so porös sein, dass sie Milch in Strömen geben, sie selbst muss ausserdem mässig, liebevoll, sanftmüthig, eine Griechin und reinlich sein.
Alle diese Eigenschaften wollen wir der Reihe nach be- gründen. Ein reifes Alter ist zu verlangen, weil allzu junge Per- sonen noch keine Erfahrung in der Kinderernährung haben und
i) Oribasius, III. 120. nep't exD-ff)? § 13- Dieses Kapitel stimmt
vielfach mit Soranus; Daremberg zögert es dem Galen zuzuschreiben.
ibid. III. 129 nach Mnesiiheus Von Ivyzikos. Hier wird eine Thracierin oder Aegypterin als Amme vorgeschlagen, nicht älter als 3° Jahre. Allerlei Milch- proben werden geschildert.
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auch sonst in ihrem Wesen noch zu leichtfertig- und kindisch sind und allzu alte Frauen wegen der Schlaffheit ihres Körpers nur wässerige Milch hervorbringen, während im mittleren Alter alle physischen Funktionen normal ablaufen. Sodann soll sie zwei- bis dreimal geboren haben, denn Erstgebärende sind in der Kinder- ernährung noch unerfahren und der Bau ihrer Brüste ist noch kindlich, zu klein und zu derb, während diejenigen, welche schon sehr oft geboren und Säuglinge genährt haben, welk geworden sind und eine zu dünne und wenig kräftige Milch absondern. Ferner muss sie ganz gesund sein, denn nur einem gesunden Körper entfliesst gesunde und nahrhafte Milch, während jeder kranke Körper kranke und schlechte Milch giebt. Es ist ja auch das Wasser, welches einem schlechten Boden entspringt, schlecht, indem es durch die schlechte Beschaffenheit der Oertlichkeiten, die es durchfliesst, verdorben wird. Sodann ist eine gute, d. h. wohlgenährte und kräftige Konstitution zu verlangen, denn nur eine solche erträgt mit Leichtigkeit die Anstrengungen des Dienstes und die nächtlichen Störungen und verhindert eine Verderbniss der Milch. Ferner soll die Amme wohlentwickelten Körpers sein, denn viel nahrhafter ist die Milch bei grossen Ammen, wenn sie sonst die gleichen Eigenschaften mit anderen theilen. Gesunder Teint ist erforderlich, denn bei solchen ist reichlicherer Säfte- zufluss zu den Brüsten anzunehmen, so dass mehr Milch abge- sondert wird. Die Brüste müssen von mittlerem Umfange sein. Sind sie zu klein, so enthalten sie zu wenig Milch, sind sie über- mässig entwickelt, so bleibt nach dem Stillen Milch zurück, welche dem Säugling nicht mehr frisch genug ist und sich zersetzt. Werden aber die Brüste ganz entleert, sei es durch andere Kinder oder durch Thiere, so ist Gefahr vorhanden, dass der Milchfluss ganz aufhört. Allzu grosse Brüste lasten ferner auch zu schwer auf dem Säugling. Dagegen glauben manche, diese enthielten ott weniger Milch, da die genossene Nahrung dem Wachsthum des Fleisches und nicht der Vermehrung der Milch zu Gute komme. ,
Die Brüste sollen voll, weich und ohne Runzeln sein, sie a rU i.? we<^er von durchscheinenden (grossen) Blutadern, noch von Mflchknoten bedeckt sein. Denn die dichten, harten und gefäss- reichen Brüste schaffen wenig Milch, die welken, wie nTan sie bei alten und schwächlichen Frauen vorfindet, produziren nur wässerige Substanz und die mit Milchknoten versehenen eine dicke und abnorme. Die Warzen dürfen weder zu gross noch zu. klein sein. Sind sie zu gross, so drücken sie auf das Zahn- fleisch und verhindern die Mitwirkung der Zunge beim Schlucken ; sind sie zu klein, so sind sie schwer zu fassen und lassen die Milch nur tropfenweise fhessen. In Folge dessen erkranken die Inder beim Saugen und bekommen die sogenannten Aphthen
Soranus: Ueber die Krankheiten des weiblichen Geschlechtes.
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(Mundschwämmchen). Dagegen dürfen die Warzen auch nicht zu fest noch zu porös sein und die Milch stromweise herauslassen. Denn zu enge Warzen führen beim Aussaugen leicht eine Rei- bung herbei, so dass das Kind erkrankt, nämlich dadurch, dass die Quantität der fliessenden Milch nicht den Anstrengungen des Kindes beim Schlucken entspricht. Sind die Brustwarzen aber zu porös, so entsteht die Erstickungsgefahr, da dem saugenden Kinde der Mund zu reichlich mit Milch angefüllt wird.
Die Amme muss ferner in jeder Beziehung mässig sein, sie soll sich des Beischlafs, des Wbines, der Wollust und sonstigen Vergnügungen und Ausschweifungen enthalten. Der Beischlaf näm- lich verdirbt, ganz abgesehen davon, dass durch die anderweitige Beschäftigung mit Liebesgenüssen die Liebe zu dem Kinde schwindet, auch noch die Milch, verringert oder die Milch ver- siegen lässt, indem er die Reinigung durch den Uterus fördert oder auch Conception herbeiführt. In der Trunkenheit erleidet zu- nächst die Amme selbst an Leib und Seele Schaden und veranlasst so, dass zugleich die Milch verdirbt. Wenn sie ferner in tiefem Schlafe liegt, giebt sie auf das Kind nicht acht und kann in gefährlicher Weise auf dasselbe fallen. Schliesslich theilt sich die Eigenschaft des Weines der Milch mit, dadurch wird das Kind schläfrig und schwindlich, es verfällt in Zittern, Schlagfluss und Krämpfe, ge- radeso wie die Eerkel benebelt und schwindlich werden, wenn die Sau Weinhefe genossen hat.
Eerner soll die Amme Mitgefühl und Liebe für das Kind hegen, auf dass sie gern und ohne Murren ihren Beruf erfüllt. Manche zeigen so wenig Mitgefühl für den Säugling, dass sie das Weinen desselben ganz unbeachtet lassen und die Lage des- selben nicht verändern, wodurch häufig in Lolge der beengenden Wicklung es sich übel befindet und die Sehnen sich' versteifen.
Die Amme darf nicht zum Zorne geneigt sein, weil es die Natur so eingerichtet hat, dass die Kinder der Nährmutter ähn- lich werden. So entstehen Hitzköpfe durch zornige, ruhige Na- turen durch massvolle Nährmütter. Geradezu toll verfahren die leicht erregbaren Ammen; wenn das Kind einmal aus Lurcht schreit und sie können es nicht sofort beruhigen, so stossen sie es von sich und werfen es in gefährlicher Weise hin und her (durch heftiges Schaukeln auf den Armen). Die Amme darf des- wegen auch nicht abergläubisch und bigott sein, damit sie nicht einmal im Wahn und in der Aufregung das Kind gefährde.
Auch Sinn für Reinlichkeit soll die Amme haben, damit nicht der Magen der Säuglinge durch den Geruch der Windeln verdorben wird und das Kind, in Lolge des Juckens im Schlaf gestört und hintendrein fratt werde (Intertrigo = fratt sein).
Eine Griechin verdient schliesslich den Vorzug, damit das
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Kind gleich von vornherein an die Laute der schönsten Sprache gewöhnt wird.
§ 8g. Die Amme soll in der Regel seit zwei oder auch drei Monaten Milch besitzen. Denn, wie ich bereits erörterte, die ganz neue Milch ist dick und schwer verdaulich, die alte dagegen zu wenig nahrhaft und dünn.
Manche verlangen, dass zur Ernährung eines Knaben nur solche, welche einen Knaben geboren habe, zur Ernährung eines Mädchens nur solche, welche ein Mädchen geboren haben, zuge- lassen werden. Doch ist dieser Ansicht nicht beizutreten. Sie übersehen nämlich, dass bei Zwillingen, von denen das eine Kind männlich, das andere weiblich ist, dieselbe Mutter mit einer und derselben Milch nährt. Ueberhaupt sehen wir ja auch bei den Thieren, dass beiderlei Geschlechter dieselbe Nahrung erhalten und dadurch keineswegs das männliche Thier weiblicher und das weibliche männlicher wird.
Will man in der Ernährung des Kindes ganz sicher und glücklich vorgehen, so muss man mehrere Ammen in Bereitschaft halten. Es ist immerhin mit Gefahr verbunden, wenn man das Kind an eine einzige Amme gewöhnt. Denn erkrankt diese und stirbt, so erleidet entweder das Kind beim Wechseln der Milch in Folge der fremden Nahrung irgend einen Schaden oder es ver- weigert auch ganz die Annahme der neuen Nahrung und stirbt den Hungertod.
Kapitel XXXIII.
Die Prüfung der Milch.
§ 90. Die Milch ist sorgfältig auf ihre Qualität zu prüfen. Ein Beweis ihrer Güte ist zunächst, dass sie von einer Amme her- rührt, die alle oben erwähnten guten Eigenschaften besitzt, und dann, dass sie dem Kinde gut anschlägt. Ist es auch ein Zeichen der Vortrefflichkeit der Milch, wenn das Kind von ihrem Genuss kräftig’ wird, so bezeugt doch das Gegentheil noch lange nicht, dass die Milch schlecht ist, wie man bei einem mageren Kinde annehmen könnte. Denn bei aller Güte der Milch kann das Kind doch an einer Krankheit leiden und dadurch ein Hinderniss für die normale Ernährung desselben eintreten. So zehren auch Er- wachsene, die krank sind, aus, mag der Körper auch die beste Nahrung erhalten, denn es verdirbt eben alles, was nähren kann,
wie Essiggefässe den besten Wein, wenn er in sie gegossen wird' verderben.
§ 9*- Drittens erkennt man die Güte der Milch aus ihren Eigenschaften, der Farbe, dem Geruch, der Konsistenz, dem Ge-
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rinnen, dem Geschmack und an der Haltbarkeit. Die Farbe muss ziemlich weiss sein. Ist sie blass oder grünlich, so ist sie ver- dorben, die gipsartig aussehende Milch ist dick und schwer ver- daulich, die gelbe unreif und schwer zu verarbeiten, in welchem Falle sie auch oft eine blutähnliche Farbe zeigt.
Die Milch darf nicht übel und stinkend, noch hefenartig und -sauer riechen. Denn in allen diesen Fällen enthält sie schlechte Säfte.
Bezüglich der Konsistenz, soll sie von glattem, homogenem Wesen sein. Hat sie Fasern und rothe oder fleischähnliche Flocken, so ist sie nicht zu verdauen. Bezüglich der Koagulationsfähigkeit soll sie mässig fest gerinnen. Denn die zu flüssige, zu dünne und wässerige Milch ist nicht nahrhaft und macht Durchfall, die allzu dicke und käsige ist schwer verdaulich und verstopft gleich den Speisen, welche zu wenig gekaut sind, die Kanäle, hemmt die gehörige Ausdünstung des Körpers und führt so Lebens- gefahr herbei. Jede abnorme Milch, sei sie dünn oder dick, wirkt schädlich. Ob die Milch in richtiger Weise gerinnt, erkennt man daran, dass sie, wenn man sie auf den Nagel oder ein Lorbeer- blatt oder eine ähnliche glatte Fläche aufträufelt, sich allmählich ausbreitet und bei Schütteln die Tropfenform beibehält. Fliesst sie nämlich sofort auseinander, so ist sie wässerig, bleibt sie dagegen honigartig beisammen und verändert sich nicht (in der Tropfen- form), so ist sie dick. Man stellt die Prüfung auch so an, dass man auf eine doppelte Quantität Wasser eine einfache Quantität Milch träufelt, dann tritt die Auflösung erst nach längerer Zeit ein und die weisse Farbe bleibt bis zuletzt. Tritt die Auf- lösung sofort ein, so ist die Milch wässerig, noch unbrauch- barer ist sie, wenn sie ein faseriges Gerinnsel, ähnlich dem Fleischwasser bildet ; in solchem Zustande ist sie nicht zu verdauen. Wenn sie aber nach einiger Zeit sich nicht vertheilt und derart senkt, dass sie beim Aufgiessen von Wasser am Boden bleibt, so ist sie käsig, dick und schwer löslich.
Ein weiteres Merkmal einer guten Milch ist der süsse und mündige Geschmack. Milch, welche scharf, sauer, bitter, salzig oder herbe schmeckt und beim Einträufeln in die Augen ein brennendes Gefühl verursacht, ist verdorben.
Für die Güte der Milch zeugt ferner die Haltbarkeit. So ist diejenige am besten, welche beim Aufbewahren nicht gleich sauer wird und welche nur ganz wenig oder gar keine Molke bildet. In solchem Zustande ist sie geniessbar; ungesund ist diejenige, welche im Gegentheil beim Aufbe wahren leicht sauer wird und viel Molke bildet. Unbrauchbar ist auch die schäumende Milch, denn sie erzeugt Blähungen. Der Schaum nämlich ent- steht, indem sich die Feuchtigkeit zu Blasen aufbläht, und erzeugt in ähnlicher Weise wieder viel Luft. Bisweilen ist dies auch ein
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Beweis für die Dicke der Milch, was daraus zu ersehen ist, dass die aufgetretenen Blasen länger Bestand haben, indem vielleicht die Luft durch die Dicke der Milch an der sofortigen Verdunst- ung gehindert wird.
§ 92. Es fragt sich nun noch, wann die Prüfung der Milch vorzunehmen ist. Die meisten Leute meinen, dass dies auch dann zu geschehen habe, wenn in der Diät der Amme kein Fehler be- gangen ist, sie gut verdaut, genügend geschlafen und Stuhlgang gehabt hat, sie noch ganz nüchtern ist und auch keine Arznei genommen hat. Denn auch die an und für sich gute Milch ver- ändere sich bei eintretender schlechter Diät allmählich und werde schlecht, wie ja auch der Athem der an schlechter Verdauung Leidenden zu Zeiten, wenn auch nicht anhaltend, übel rieche. Manche behaupten wieder, die Prüfung sei im Gegentheil nur nach einem Diätfehler vorzunehmen, denn die Milch sei die beste, die durch keine schlechte Einwirkung verdorben werde. Wir aber prüfen die Milch sowohl bei einer guten wie schlechten Diät. Denn die Milch, welche durch keine Diät verdorben werden kann, ist die beste, die schlechteste dagegen diejenige, welche selbst bei der gesundesten Diät ihre übeln Eigenschaften nicht verliert, in die Mitte stelle ich diejenige, welche mit der Veränderung der Diät auch sich verändert und demgemäss auch bei der besten Diät die beste Qualität zeigt.
Kapitel XXXIV.
Die Lebensweise und Diät der Amme1).
§ 93. Nicht unwesentlich darf es sein, dass die Amme so- wohl dafür Sorge trage, dass die Milch nicht verderbe und so das Kind erkranke, noch dass die Milch ausgehe und so das
' ) »Leibesübungen, doch nicht zu schwere, und einem Athleten zukommende. “ Dass römische und griechische Damen schon damals dem Sport des starken Geschlechts huldigten, ersehen wir unter Anderem aus Iuvenal, Satire VI 247.
.... »Wer hat nie Wunden des Pfahles gesehen?
»Den sie mit emsigen Hieben gehöhlt, mit dem Schilde gereizt hat,
»Und wie die Regeln der Schule sie ganz durchmacht, der Drommete »Flora s würdige brau, es müsste denn mehr noch im Busen »Sich ihr regen und gar zur wahren Arena sie hinziehen »Wie kann schamhaft ein Weib sich zeigen behelmeten Hauptes
»Das dem Geschlecht entsagt?
„Schau mit welchem Getös die gelehrten Hiebe sie führet,
„Welches Gewicht von dem Helme sie krumm beugt, wie’ an der Kniekehl „best ansitzet die Binde aus dichtem Baste gewoben,
„Und lach’, nimmt sie’s Geschirr, wenn abgelegt sie die Waffen.“
„ t (Uebersetzt von Eduard Casp. Jak. v. Siebold),
lerner sehe man Satire T. 22 „Quum Maevia Tuscum „Figere aprum et nuda teneat venabula mammä “
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Kind zu wenig Nahrung erhalte und beim Schlucken Schaden leide, indem es längere Zeit an der Warze saugt, ohne etwas herauszubekommen, um seinen Appetit zu stillen. Zu diesem Zwecke ist der Amme anzuempfehlen, sich nicht dem Müssig- gang- und der Ruhe zu ergeben , denn dadurch wird die Milch dick und unverdaulich; sie mag Leibesübungen, doch nicht zu schwere und einem Athleten zukommende pflegen, denn die letz- teren passen einmal nicht für das Weib, da sie zu grosse Kraft- anstrengung erfordern, -und dann wird auch um so viel weniger Milch producirt, als Stoff für die kräftigende Pflege des Körpers aufgewandt wird. Es sind somit vielmehr mässige und leichte körperliche Uebungen anzurathen.
Aus demselben Grunde soll sie, sobald sie aus dem Schlafe erwacht, nicht früher aufstehen, bis sie merkt, dass die genossene Speise verdaut, der Unterleib leicht, der Magen schlaff, die aus dem Magen entweichenden Gase rein, weder dumpf riechend noch sauer sind. Nach stattgefundenem Stuhlgange gehe sie dann oder fahre sie spazieren. Sie muss dem Körper auch jene körper- lichen Uebungen gönnen, durch welche alle Theile des Körpers, ganz besonders aber Hände und Schulter in Bewegung gesetzt werden, damit der Nahrungsstoff besonders dort sich ablagere. Hierher gehören die Ballspiele, zumal die mit dem leeren Ball und das Werfen leichter Hanteln; arme Frauen können rudern, am Ziehbrunnen arbeiten, dreschen, mahlen, Brot backen, Bett machen und sonstige leichte Arbeiten verrichten, welche zu einer nach vorn gebeugten Stellung nöthigen. Denn die oberen Theile werden so mehr in Thätigkeit gesetzt und die längere Zeit herab- hängenden Brüste geben, wenn sie nicht unthätig bleiben, ge- sundere und reichlichere Milch, indem ihnen dann reichlich Stoff zufliesst. Aus diesem Grunde ist es auch erspriesslich, die Brüste stets frei zu tragen, damit nicht durch die Einwicklung die Milch zurückgepresst werde, zumal zur Zeit der körperlichen Uebungen, denn dann werden sie zugleich mit dem ganzen Körper in Be-
„Durchgesiebtem Weizen“ arjtavtoc itupo? ist eine besondere Art Weizen, nach Sprengel Triticum Gärtnerianum, nach Fraas : Triticum aestivum (Dioscorides, Materia medica Lib II, cap. 107.)
„Fische“, Ueber Felsenfische, Meerwall, Seebarbe, sehe man Oribas. Collect, med. II. 49 (ed. Bussemaker et Daremberg I. 112 ff.) Die Fische spielten in der antiken Diätetik eine grosse Rolle. So rühmt Mnesitheus von Athen (bei Athenaeus VIII., p. 35“) die Fische mit weichem Fleisch für Genesende. Zeno und Crato (Plutarch Sympos IV. 43) zogen Fische als Krankenkost den übrigen Speisen vor. Ferner Xenokrates, de alimentis ex fiuviatilibus. (Ideler, Medici graeci minores I'. In dem 1646 zu Antwerpen erschienenen Buche von Nonnius, de re libaria, sind die Angaben der Alten gesammelt. ,
Konvulsionen (Eklampsie, Gichter, Fraisen’. Auch HeDoch Vorlesungen p. 160 erwähnt, wie viele andere Kinderärzte, das Vorkommen nach Alkoholmiss- brauch der Säugenden, aber auch nach sonstigen Diätfehlern.
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wegung gesetzt. Nach den körperlichen Uebungen soll die Amme mehrere Tage hindurch Einsalbungen gebrauchen. Bäder machen die Milch wässerig; in Zwischenräumen darf sie sich erst warm und dann kalt abwasehen.
§ 94. Unter den Speisen soll sie die schlechten Säfte er- zeugenden, die wenig nahrhaften und schwer verdaulichen ver- schmähen, dagegen die saftreichen , nahrhaften und leicht verdau- lichen bevorzugen. So darf sie nicht gemessen: Lauch, Zwiebel, Knoblauch, Rettige, Hülsenfrüchte und alles Eingepökelte, denn dies macht die Milch scharf; die meisten Gemüsearten, denn sie sind wenig nahrhaft und wässerig, Hammel- und Rindfleisch, be- sonders in gebratenem Zustande, denn wenn sie auch reichlich Milch erzeugen, so bekommen sie doch dem Magen nicht gut, sind schwer verdaulich und erzeugen schlechte Säfte. Dagegen sind zu empfehlen : Reines Weizenbrot und gesäuertes Brot aus feinstem W ei z en m e hl, Eidotter, Gehirn, Krammetsvögel, junge Tauben und junge Hühner, Felsenfische, Mee'fwölfe, Seebarben, überhaupt alle Fische, welche gut schmecken, dem Magen gut thun und gute Säfte erzeugen, und schliesslich Fleisch von jungen Schweinen. Zu verwerfen sind auch alle Speisen, welche um- ständlich, künstlich und leckerhaft hergerichtet sind. Denn solche Speisen schmeicheln zwar dem Gaumen, erregen aber Verstopfung, durch welche neben dem übrigen Inhalt des Körpers auch die Milch vergiftet wird. Aus demselben Grunde muss man beim Essen Mass zu halten wissen, damit nicht durch Völlerei die Ver- dauung gestört werde; die Amme soll nur gerade soviel essen, als sie mit Leichtigkeit verdauen kann. Dies ist zumal dann von besonderer Wichtigkeit, wenn die Pflege des Kindes Nachtwachen veranlasst.
§ 95. Die aufgezählten Speisen muss nun die Amme ferner auch nach einer bestimmten Methode nehmen. In den ersten sieben oder in der Regel auch zehn Tagen geniesse sie nur eine einfache und leichtverdauliche Speise, wie einen dünnen Brei, der nicht zu fett sein darf, Eier, Brot und Wasser. Wenn es möglich ist, soll sie schon den Tag zuvor solche Speisen geniessen. Denn je feiner und leichtverdaulicher die Milch ist, desto nützlicher ist sie für das Kind, weil es zu jener Zeit noch zart wie Moos ist und enge Oeffnungen hat, die eine dicke Milch nicht oder nur schwer durchlassen. Nach Verlauf der ersten Woche kann sie dann neben den oben aufgezählten Speisen noch ein weiches Fischchen oder das Fleisch und das Gehirn junger Schweine bis zum Ende der zweiten oder dritten Woche essen, denn dadurch gewinnt die Milch an Nahrungsgehalt. Ist die zweite oder dritte Woche vorüber, so ist der Säugling schon kräftiger geworden und vermag eine nahrhaftere Speise zu vertragen. Nun kann man der Amme Geflügel von mittlerer Grösse und dann im Ver-
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haltmss zu der Erstarkung und dem Wachsen des Kindes auch grösseres Geflügel, ferner Hasen-, Reh- und Zickleinfleisch, später Schweinefleisch geben. Je mehr Nahrungsstoff nämlich die Speise der Amme, enthält, desto nahrhafter wird auch die Milch. Später geniesse sie allerlei Speisen mit möglichster Abwechselung, auf dass sich das Kind an die Verschiedenheit der Eigenschaften der- selben gewöhne. Denn die verschiedenen Eigenschaften der Speisen, weiche die Amme zu sich nimmt, theilen sich auch der fleh mit. Aus gleichem Grunde schmeckt Gaismilch wenig an- genehm und wirkt etwas stopfend, weil die Ziegen Kräuter von solcher Art gerne fressen, ist dagegen Schafmilch von angenehmem und süssem Geschmack, weil die Nahrung der Schafe derartig beschaffen ist. Mindestens die ersten 40 Tage hindurch darf sie nur Wasser, danach einen um den anderen Tag Weinhonig in geringen Quantitäten trinken. Ist das Kind stärker und fester geworden und hat es zugleich eine gesunde Farbe bekommen, so darf sie klaren AVeisswein ohne Beimischung von Wasser trinken.. Es soll dieser etwas herbe, aber weder zu alt noch zu jung sein. Zuerst soll sie ihn nur einmal am Tage und zwar in Pausen von mehreren Tagen trinken, dann alle zwei Tage, dann einen um den anderen Tag, danach täglich und nicht bloss ein- mal sondern auch zweimal an jedem Tage und schliesslich so oft und so viel, als zum Durstlöschen nöthig ist. Auf solche Weise kann das Kind ohne Schaden mit der durch den W ein qualitativ veränderten Milch genährt werden, während es von Natur aus in der ersten Zeit die Wirkung des Weines nicht ohne Schaden zu ertragen vermag.
§ 96. Es könnte wohl jemand daran zweifeln, wie es komme, dass das Kind vor der Geburt, als es noch im Uterus war, es zu ertragen vermochte, wenn die Mutter selbst Wein und die mannich- fachsten Speisen genoss. Hierauf ist Folgendes zu sagen: Zu
jener Zeit bildete das Kind einen Theil der Mutter, erhielt aus deren Kräften seine Nahrung und erkrankte so nicht; nach der Geburt aber besitzt es eine eigene Existenz und da seine Lebens- kräfte noch schwach sind, leidet es leicht durch betäubende Stoffe. So tragen auch Gewächse, die mit grösseren Bäumen vereinigt sind und durch deren Festigkeit mit gestützt werden, Früchte und halten jeden Sturm aus ; sobald sie aber von diesen getrennt und auf ihre eigene Kraft angewiesen werden, nehmen sie unter den geringsten Einflüssen leicht Schaden. Aus dem Umstande, dass der Wein der Amme nicht schadet, darf man nicht den Schluss ziehen, es könne nun auch das Kind nicht darunter leiden. Man muss vielmehr von der Ueberzeugung ausgehen, dass der Wein für dessen Konstitution 'viel zu stark ist, was klar daraus hervorgeht, dass die meisten so nachlässig genährten Kinder von Konvulsionen befallen werden.
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Kapitel XXXV.
Die Massregeln, welche zu ergreifen sind, wenn die Milch ganz ausgeht oder verdorben wird, zu dick
oder zu dünn ist1).
§ 97. Nimmt die Milch an Quantität ab und geht ganz aus oder wird sie verdorben, ist sie zu dick oder zu dünn, so sollte man das Kind einfach einer anderen Amme übergeben. Es wäre freilich schön, wenn es immer anginge, dem Kinde einfach die Milch einer anderen Amme zu reichen. Vielfach verhindern dies Umstände mancherlei Art und in solchem Falle muss man der betreffenden Amme eine Diät vorschreiben, welche verhindert, dass das Kind erkrankt.
Geht die Milch aus, so ist zunächst zu untersuchen, ob der Grund hierfür in einer geringfügigen Erkrankung der Gebär- mutter oder eines anderen Organes oder in einer allgemeinen mangelhaften Ernährung des ganzen Körpers liegt oder ob die Milch in ganz naturgemässem Verlaufe geringer wird, indem die Natur nicht so viel Milch absondern kann, als dem Säugling an- gemessen ist. Liegt nun ein Krankheitszustand vor, so ist dieser entsprechendzu behandeln ; ist die Krankheit beseitigt, so schwindet auch jedes Hinderniss für die Funktionen. Liegt keine Krankheit zu Grunde, so muss man leichte gymnastische Uebungen vor- nehmen, spazieren gehen, massiren, was man entweder selbst machen oder durch andere machen lassen kann, und zwar unter Anhalten des Athems, endlich muss man noch sanft die Brüste reiben. Ferner sind anzuempfehlen: Uebung der Stimme, Baden, saftreiche Speisen, Zerstreuung des Gernüths und überhaupt alles, was die oberen Körpertheile zu stärken vermag. Denn wird hier- durch der ganze Körper in wohlgenährten Zustand versetzt, so nehmen auch zugleich die Brüste zu. Auch soll das Saugen be- harrlich fortgesetzt werden, denn durch diesen Reiz (resp. Em- pfindung) entsteht ein grösserer Zufluss von Säften (Stoff). Mne- sitheos rieth zweimal täglich Erbrechen zu bewirken, er bedenkt dabei nicht, dass durch Erbrechen vielmehr Schwäche entsteht, er müsste denn eine chronische Krankheit dadurch heben wollen. Andere rathen zum Gebrauch aromatischer Getränke und von Arzneien, welche man milchtreibende nennt. Auch pflegte man die Euter von Thieren, welche von Natur milchreich sind, als Speise zu geben. Andere verbrannten Eulen und Fledermäuse und streuten die Asche in einen Trank oder salbten die Brüste
' ) orpoßtX'ji, Oribas. II. 90U Dioscorid. Alater. med. I. 88 nach Sprengel die Nacktsamen von Pinus Cembra L. Zirbel. Dagegen nimmt Daremberg an, dass es sich um Pinus Pinea handle, da nach Fraas (Flora classica p. 266) die Zirbel in Griechenland nicht vorkommt (vergl. den Excurs zu Oribas. II, p. 568.)
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damit in irgend einer Lösung. Doch alle diese Mittel sind zu ver- werfen, weil sie zum Erbrechen reizen, die Schwäche noch er- höhen und zur Abzehrung führen.
§ 98. Fliesst die Milch zu reichlich, so soll die Amme durch stark anstrengende Arbeiten den Körper kräftigen, ist die Milch zu dick, so soll sie fleissig baden , breiartige und nur wenig nährende Speise geniessen und nur Wasser trinken. Einige Aerzte, unter ihnen besonders der Anhänger des Moschion verord- neten Kappern, Rettige und Pökelfleisch, womit man nicht übereinstimmen kann. Denn wenn durch scharfe Gerichte die Dicke der Milch auch gehoben würde, so würde dadurch doch auch die Qualität derselben geringer, indem sie mehr reizend wirkte.
Ist die Milch zu dünn, so muss die Amme sich des Bades enthalten, denn es macht den Körper und damit die Milch wässerig, dagegen sind ihr als Nahrung zu empfehlen: Brei aus Dinkel und Spelt, weiche Eier, Zirbelnüsse, überhaupt die Füsse, Ohren und Rüssel der Schweine, weil sie etwas leimhaltiges und schleimiges an sich haben, Zickleinfleisch sowohl gebraten wie auch gekocht, und leichten Wein, wenn es das Befinden des Kindes gestattet.
Ist die Milch verdorben, was in der Regel die Folge von mangelhafter Verdauung, vom Coitus und von ungesunden Speisen ist, so muss man diese Momente beseitigen und zu einer kräftigen und gesunden Diät zurückkehren.
Hiermit schliessen wir unsere Erörterung über das Verhalten der Amme und kehren zur Pflege des Kindes zurück.
Kapitel XXXVI.
Das Baden und Frottiren der Kinder.
§ 99. Grosse Sorgfalt ist dem Baden zuzuwenden. Es darf das Kind nicht zu anhaltend gebadet noch durch Aufgiessen kochenden Wassers gebrüht werden, wie es die meisten brauen thun. Dreimal am Tage und bei Nacht baden sie ihre Kinder und begiessen sie dabei bis zum Schwachwerden ; schliesslich freuen sie sich über den nach dem Bade eintretenden ruhigen Schlaf, der doch nur die Folge der Ermattung ist. Dieses Ver- fahren ist höchst nachtheilig. Der Körper wird schlaff, empfind- licher für Krankheiten, leicht erkältet und jeder Schädlichkeit zu- gänglich, vor allem aber leiden Kopf und das Nervensystem. Aus diesem Grunde soll m^,n das Kind nur am Tage, niemals bei Nacht und auch nicht zwei- oder dreimal, sondern nur dann baden, wenn es durch eine Entleerung belästigt oder von Hautausschlägen gereizt wird.
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§ ioo1). Das Baden und Reiben hat auf folgende Weise zu geschehen. Zunächst wähle man zu diesem Geschäfte ein mässig erwärmtes, nicht der Sonne ausgesetztes Zimmer. Die Amme setze sich, breite auf ihre Schenkel und Kniee ein Laken aus roher Leinwand’ und lege darauf das Kind, sie löse die Windeln und salbe das Kind mit lauwarmem Oele, sodann fasse sie mit ihrer linken Hand den rechten Arm unter der Achsel, so dass die Brust des Kindes am Ellbogen der Amme liegt, indem sie das Kind etwas nach rechts neigt, und nun giesse sie mit der rechten Hand über das Kind temperirtes Wasser, wie es dem Kinde be- haglich ist. Hierbei hat sie wohl zu bedenken, dass eine Tem- peratur, die unsereinem lau vorkommt, für die zarte Haut des Kindes schon zu heiss ist. Zweckmässig ist es, nach Verhältniss fortschreitend wärmeres Wasser aufzugiessen, nachdem das erste Wasser sich abgekühlt hat. Mit dem Begiessen ist fort- zufahren, bis die Haut sich röthet und der Körper gleich- mässig warm wird. Hierauf wird das Kind umgedreht, der Rücken gewaschen, die Schenkel, der Steiss, der Nacken und die Achselhöhlen von dem gerade an diesen Stellen am meisten haftenden Schmutz gereinigt, sodann mit dem in reines Wasser oder Oel getauchten Zeigefinger der Speichel aus der Mundhöhle des Kindes entfernt, die Zunge, das Zahnfleisch und die Mund- winkel sanft gerieben, der Unterbauch leicht gepresst, um Ent- leerung des Harns zu veranlassen. Nach einigen Tagen gewöhne man das Kind nach dem warmen Bade noch an ein Bad mit milchlauem Wasser, denn durch allmähliche Gewöhnung an käl- teres Wasser wird es vor Erkältung geschützt.
§ ioi2). Nach dem Bade wird das Kind an den Knöcheln gefasst, so dass der Kopf nach unten hängt, damit die Wirbel- knochen sich ausdehnen, das Rückgrat biegsam wird und die Sehnen sich entfalten. Dann wird es wieder auf den Schoss der Badefrau gelegt, in Linnen gehüllt und so abgetrocknet. Nach reichlicher Salbung des Kindes werden die einzelnen Körper- theile unter besonderer Beachtung der Gestaltung derselben frottirt, indem deforme Theile allmählich in die natürliche Form gebracht werden.
Nun ergreift die Amme die Handwurzel und indem sie die rechte Hand streckt, reibt sie in schräger Richtung vom linken Hinterbacken beginnend ; dann nimmt sie den rechten Knöchel und reibt vom linken Schulterblatt zum rechten Unterschenkel.
') „Schmutz“ pUTiOf. Hier ist nur die Vernix caseosa gemeint.
, Speichel“ atsXa sonst <nccXa, eigentlich Schleim, da das Neugeborene noch keinen Speichel absondert.
2) «Theile, die noch missgestaltet sind.“ Es kommt bei gewissen Lagen und Haltungen des Kindes vor, dass die Extremität abnorme Stellungen (z. B. Flexion in Hüftgelenk) annehmen und nach der Geburt längere Zeit beibehalten.
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Dann biegt sie die Extremitäten gegen den Rücken zurück, in- dem sie die Spitze des rechten Fusses der Spitze der linken Hand nähert und umgekehrt. So werden die Gelenkbänder geschmeidig und jedes Gelenk wird beweglicher durch die mannichfaltigen Drehungen und wenn etwa zähe Substanz in den Gelenken an- gesammelt wäre, so wird sie so zertheilt. Nachdem aber so die Geschmeidigkeit hergestellt ist, werden die Schenkel zusammen- gelegt, gestreckt und mit der andern Hand ganz der Länge nach gerieben.
§ 102. Die Kniekehlen werden durch Auflegen des Daumen- ballen geebnet, die Knöchel werden an einander gelegt und gerade gerichtet und indem sie von den Fersen an reibt, richtet sie Theile, die zu sehr hervorragen und verrenkt sind, ein. Dann biegt sie die Glieder, indem sie die Fersen dem Steisse nähert. Hierauf wird mit den flachen Händen das Rückgrat bearbeitet, indem man es sowohl in gerader Richtung, als auch seitlich bewegt. Dann wird mit dem Mittelfinger von der Steisskerbe zum Nacken unter Streckung frottirt und das Rückgrat vom Hals bis zum Heiligen- bein normgemäss gebogen, damit zur gefälligen Form Leicht- beweglichkeit und Festigkeit der Wirbel sich geselle. Hierauf wird mit Mittel- und Zeigefinger die Gesässregion durch Druck in gute Form gebracht und werden durch Applikation der geschlossenen Faust die über dem letzten Wirbel liegenden Partieen abgeflacht, damit keine Lordosis entstehe; ebenso macht man es am Rücken und am mittleren Theile der Wirbelsäule, damit kein Buckel oder sonstige Anomalie sich bilde. — Hierauf wird der Kindskopf frottirt, indem man beide Hände rund herumführt, ferner wird er etwas geformt, indem einmal die eine Hand an die Stirn, die andere an den Nacken applizirt wird, dann aber an den Scheitel und das Kinn.
Auch dem Schädel muss eine schöne Form gegeben werden, auf dass er nicht zu lang noch spitz werde. Ferner soll der Kopf bewegt und gestreckt werden, indem man ihn gleichzeitig erhebt, um die Halsmuskeln zu üben und die Wirbel gelenkig zu machen, denn ein Kind vermag diese Theile von selbst noch nicht zu bewegen.
§ 103.1) Hierauf soll die Pflegerin das Kind umwenden und die Vorderseite salben. In Zwischenräumen von einigen Tagen soll sie die Augen ausspritzen. Dies darf nicht jeden Tag ge- schehen, denn es ist schon Augenentzündung die Folge davon gewesen, indem die Häute eiterten. Dann soll man wieder von
l) „Man gelb a ftes Präputium“ XentöSspfrov. Hieher gehört der berüchtigte „Epispasmus“, d. h. die Schaffung einer Vorhaut durch methodisches Dehnen des Restes der beschnittenen Vorhaut, eine Unsitte, die seit der Zeit der Maccabäer bei den Israeliten grassirte. Näheres bei J. B. Friedreich, Zur Bibel II, 161 — 165.
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der Schulter bis zur gestreckten Hand einreiben, dann soll man die Arme kreuzweise um die Brust legen, resp. gegen die Seiten- wand bewegen und dieselbe damit decken. Sodann werden Bauch, Brust und &die beiden Schenkel gestreckt gerieben, die letzteren erst einzeln, dann zusammen. Die Kniescheiben werden hin und her bewegt, damit die Verbindung der Glieder nicht schwerfällig sei, auch sollen sie mit der flachen Hand der Länge nach behufs Erlangung einer schönen Form abgeflacht werden, während die Schenkel aneinander gelegt sind. Mit beiden Daumen werden die Augen ausgerieben und wird die Nase geformt , indem man sie bei solchen, welche eine Stumpfnase haben, hebt, dagegen bei denen, welche eine Habichtsnase besitzen, sie drückt. Dabei soll man aber bei denen, welche eine Habichtsnase haben, diese nicht an dem Punkte der Erhöhung zurückdrücken, sondern man muss die Nasenflügel im Verhältniss zu der nach vorn neigenden Nasen- spitze vorziehen und emporrichten. Besitzt ein männliches Kind ein mangelhaftes Präputium, so ziehe man die Vorhaut sanft in die Länge oder man umwickle es zum Schutze mit einer Woll- flocke. Wenn man sie allmählich und konsequent nach vorn zieht, so giebt sie leicht nach und gewinnt ihre natürliche Länge, in- dem sie die Eichel verhüllt und sich daran gewöhnt, die ihr von der Natur verliehene normale Form beizubehalten. Danach forme man auch den Hodensack aus dem Zusammengehen der Schenkel und schütze ihn vor Druck durch untergelegte Wolle, so hält man ihn auch von den Schenkeln fern.
§ 1041). Nach dieser Formung wird das Kind gewickelt und mit etwas Oel gesalbt. Zu starkes Salben erkältet und lässt die nassen Windeln nicht festsitzen; indem diese rutschen und sich herumschlingen, leiden die Glieder unter dem Druck. Zuweilen ist es auch nützlich, den erschlafften Körper vor dem Wickeln mit Tyrrhenischem Wachs einzureiben, denn dieses erweicht und wärmt den Körper, ernährt noch obendrein und erhöht die Weisse der Haut. Nach dem Bade soll die Amme Ohren und Nase des Kindes aussaugen, damit nicht zurückbleibende Feuchtigkeit den noch zarten natürlichen Oeffnungen Schaden zufüge.
„Aussaugen“ cypuCav. Das Aussaugen des Meatus auditorius externus ist indess als gefährlich zu erklären, da Hämorrhagie veranlasst werden kann.
Tyrrhenisches Wachs. Galen, de compos med. sec. gen. I. „candida, quae Tyrrhenica nominata est, non sponte nascitur, quae nullam evidentem habet acrimo- mam“ (also handelt es sich um künstlich gebleichtes Wachs.) Sonst war das natür- liche pontische Wachs am meisten beliebt.
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Kapitel XXXVII.
Wie und wann dem Kinde die Brust zu geben ist.
§ 105. Nach einer kleinen Pause, in welcher sich das Kind von der Unruhe des Bades erholt hat, darf man ihm die Brust geben. Wie bei Erwachsenen, so ist noch viel mehr bei kleinen Kindern das Essen unmittelbar nach dem Baden der Gesundheit nachtheilig. Bei einem erhitzten Körper wird nämlich die Nahr- ung in Menge aufgesaugt und schadet. Auch die Amme möge, wenn sie eben aus dem Bade gestiegen ist , eine ziemliche Zeit warten, bevor sie die Brust reicht, und auch vorher ein wenig Wasser trinken. Denn die Nahrung schadet nicht nur dem er- hitzten Körper, sondern auch die aus solchem Körper kommende Nahrung ist ungesund (für das Kind). Die Amme soll demnach zunächst das Kind sich vom Bade erholen lassen, dann die Milch, welche sich zunächst den Warzen befindet, ausmelken und die Milch, welche in Folge 'der Unruhe des Körpers verdorben ist, ausdrücken und nun erst die reine Nahrung bei normalem Be- finden ihres Körpers reichen.
§ 106. Bei dem Darreichen der Brust soll die Amme sitzen, das Kind hoch heben und indem sie es bald an die rechte, bald an die linke Seite legt, es mit den Armen an die Brust nehmen, indem sie die Warzen an die Lippen desselben legt. Sie soll in nach vorn geneigter Stellung sitzen, denn lehnt sie sich rück- wärts, so wird das Trinken derartig erschwert, dass das Kind bald den Trank wieder von sich giebt, bald einen Anfall von Erstickung bekommt. Aus demselben Grunde soll man das Kind ein wenig in die Höhe heben und nicht andauernd an die rechte Seite legen, vielmehr soll es an beiden Brüsten genährt werden einmal der Abwechselung wegen und dann, damit die rechte Hand, die nach Lösung der Windeln festgehalten wird, sich nicht an Unthätigkeit gewöhne. Wenn sie das Kind in der erwähnten Weise an die Brust gelegt hat, soll sie, bevor das Kind zu ziehen beginnt, die Milch ganz sanft ausdrücken, einmal um grösseren Appetit zu erregen und dann damit der Säugling nicht dadurch Schaden leide, dass er sich beim ersten Zuge zu sehr anstrengt. Nach jedem Schlafe aber soll sie, bevor sie dem Säugling die ; Milch giebt, im Umherwandeln die Brüste reiben und schütteln, denn durch eine derartige vorhergehende Bewegung verdunstet der Ueberschuss und' zertheilen sich die dicken Bestandtheile. Wenn das Kind genügend Milch zu sich genommen hat, soll man es noch eine kleine Zeit lang auf den Armen halten und dann auf ein Lager legen wie oben beschrieben, aus dem es ein wenig hervorguckt und auf dem es wie sitzend ruht. Von oben ist das Kind des Schutzes wegen zu bedecken, ebenso sind seine :
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Augen zu verhüllen, einmal weil sie in ihrer Zartheit leicht durch einen hineingerathenen Gegenstand verletzt werden und dann, weil sie unter dem Einfluss zu vielen Lichtes und zu starker Helle sich an das Schielen gewöhnen könnten. Auch darf das Kind nicht mit der Amme zusammenschlafen, zumal in der ersten Zeit nicht, damit sie es nicht durch unvorsichtiges Umherwälzen drückt oder erstickt. Es sollen daher die Wiegen neben dem Bette stehen und falls das Kind ein Verlangen kundgiebt, die Kinder- wanne auf das Bett genommen werden.
§ 107. Die Amme ist davor zu warnen, dass sie während des ganzen Tages oder der ganzen Nacht Milch gebe. Denn durch die Masslosigkeit wird es, zumal in der Nacht, krank; wird näm- lich eine Speise genommen, bevor die vorhergehende verdaut ist, so verdirbt diese. Dagegen darf die Amme zu öfteren Malen die Brust reichen, denn auf einmal kann das Kind nicht genügende Nahrung zu sich nehmen. Die Milch sättigt nämlich von Natur ziemlich schnell, so dass das Kind satt ist, bevor noch für die Ernährung hinreichender Stoff aufgenommen ist. Auch ermüdet das Kind wegen seiner Schwächlichkeit, wenn es zu lange an der Warze zieht und hört deswegen früher auf, als es hinreichende Nahrung genommen hat. Demnach ist dem Kinde zu öfteren Malen Milch zu geben, doch mit Unterbrechung und nicht vor dem Bade, noch viel weniger während des Bades selbst, was trotz des Verbotes die Weiber gerne thun, indem sie damit das weinende Kind ohne Mühe zum Schweigen bringen wollen. Ist die Milch aber verdorben und sauer geworden, so leidet das Nervensystem und Epilepsie und Schlagflüsse sind die Folge. Ganz gefährlich ist es, die Warze während des Schlafes im Munde des Kindes zu lassen, um so zu verhüten, dass es überhaupt schreit. Denn wenn zu Zeiten, wo die Milch ohne Saugen aus- fliesst, die Nasenlöcher gedrückt, der Mund verschlossen und der Schlund gefüllt ist, so erstickt das Kind.
§ 108. Ueberhaupt soll man das Weinen nicht immer zur Veranlassung nehmen, dem Kinde die Brust zu reichen. Denn erstens ist auch das Schreien bisweilen von wesentlichem Nutzen. Es ist nämlich eine natürliche Uebung, die zur Kräftigung des Athems und der Athem Werkzeuge dient, auch geht, wenn die Kanäle sich durch jene Uebung dehnen und weitern, die Ver- keilung der Nahrung im Körper leichter von statten. Andrer- seits darf man das Kind aber auch nicht zu lange und zu heftio- schreien lassen. Denn darunter leiden die Augen, auch kann Herabgleiten der Eingeweide in den Hodensack eintreten (= Ent- stehung einer Hernia). Zweitens schreit das Kind nicht nur, wenn es Hunger hat, sondern auch aus anderen Gründen, wie z. b. wenn es in Folge schlechter Lage gedrückt wird oder wenn aen kleinen Körper irgend ein Thier beisst oder sticht, oder
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wenn die Fülle der Nahrung den Leib beschwert, oder Frost oder Hitze eintritt oder wenn Verstopfung vorliegt, indem in dem Darme harte Exkremente liegen, oder wegen sonstiger Unpässlichkeit oder Krankheit. Alle diese Ursachen muss man, soweit möglich, zu ergründen suchen, um so dem vorliegenden Uebel abzuhelfen; man darf nicht einfach seine Zuflucht dazu nehmen, dass man dem Kinde die Brust giebt.
Ob Druck vorliegt, werden wir erkennen, indem wir mit dem Finger die Druckspur der Binden (tastend) wahrnehmen und die Extremitäten blau (cyanotisch) finden, oder nicht naturgemäss gelagert. Dass es von irgend einem Thier gebissen oder ge- stochen wird, ersehen wir aus dem plötzlichen Aufschrei, wenn es weder schlecht liegt noch die Windeln drücken. Hat das Kind in Folge Ueberfüllung mit Nahrung Magenbeschwerden, so erkennt man dies am Aufstossen und Erbrechen , oft ist dann auch das Hypochondrium angeschwollen und hieraus lässt sich schliessen, wie oft das Kind getrunken hat. Dass das Kind unter Frost leidet, wird ersichtlich daraus, dass es erstarrt, sich zusammen krümmt und kalt wird, dass die Haut bläulich aussieht und das Wohngemach kalt ist. Leidet es unter Hitze, so merken wir das an der allzuwarmen Luft des Zimmers, an dem Rothwerden und an der schnelleren Respiration des Kindes oder wir finden, dass das Kind in mehr Decken als nöthig ein gehüllt ist. Wenn es an harten Exkrementen und Verstopfung leidet, so wird dieser Zustand daran erkennbar, dass das Kind unter Anstrengung und Zusammenziehung des Körpers weint. Irgend ein sonstiges Un- wohlsein oder eine Krankheit zeigen sich in bestimmten Sym- ptomen und dadurch, dass das Kind die Brust nicht nimmt, ohne dass eine der vorher erwähnten Ursachen vorliegt. Das Verlangen nach Nahrung verräth sich, wenn die Lippen sich ohne einen der vorhergenannten Gründe bewegen, der Mund sich öffnet und zu- mal, wenn es an seinem Finger saugt, indem es sich dabei die Warze vorstellt. Auch kann man dies dadurch ergründen, dass man berechnet, mit welchem Quantum Milch das Kind sich bisher zu begnügen pflegte und welches Quantum es jetzt nahm, ob ferner eine grössere Frist seit der letzten Säugung verflossen, und ob das Hypochondrium zusammengesunken ist. Wenn die Amme unter solchen Umständen dem Kinde die Brust reicht, um dem Nahrungsbedürfniss des weinenden Kindes zu entsprechen, so geht sie niemals' fehl.
§ 1091). Es ist zu vermeiden, dass das Kind unmittelbar nach
l) Schaukeln, ai'uipa. Diese passive Bewegungsart wurde bei den Alten syste- matisch betrieben und zwar nicht allein bei Kindern. Ein Fragment des Antyllus (Oribas. I. p. 513, Collect, med. VI. 23) belehrt uns, dass die passive Motion die innere Wärme aufwecken kann, die überflüssigen Stoffe zertheilen und erloschene Funktionen erregen, auch gegen Agrypnie soll sie nützen. Das verlorene Buch des Antyllus heisst ,,uspl Ttotouuivurv ßorjthjjj.d'cujv.“
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der Sättigung mit Milch, bewegt wird. Schon Erwachsenen be- kommt das Schaukeln nach dem Essen nicht gut, da die Nahrung dadurch verdorben wird, noch viel mehr ist dies natürlich bei dem ganz jungen Kinde der Fall, einmal weil der Körper noch sehr zart ist und dann weil die Milch schon von Natur oben schwimmt und so Aufstossen erregt ; dies ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die Kinder häufiger brechen, indem sie, ganz wie See- kranke, in Folge unmässiger und andauernder Bewegung wie un- geübte Seefahrer vor Uebelkeit speien. Daher bekommen derartig Aufgezogene einen schwammigen und für Krankheiten leicht empfänglichen Körper, es geht ihnen ähnlich wie den gemästeten Zicklein , die man zum Zweck der Mästung nach der Fütterung mit Milch in einem Korbe schwebend den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch hin und her bewegt. Denn so vertheilt sich in Folge der Bewegung die Nahrung durch den ganzen Körper und es wird jeder Theil desselben damit angefüllt. Wenn das Kind nun nach der Säugung beharrlich weint, so soll die Amme es in den Armen tragen und es durch Liebkosungen, Ge- plauder und sanftes Singen zu beschwichtigen suchen; niemals darf sie es dagegen durch Schreien oder sonstige Drohungen in Furcht und Aufregung versetzen. Denn dadurch wird Erschrecken veranlasst, das leicht körperliche wie seelische Leiden erregt. Es ist also das Kind nach dem Säugen nicht sofort zu schaukeln, sondern entweder nach der Verdauung oder vor dem Stillen. Die Bewegung des Schaukelns ist der Körperkonstitution anzupassen, zuerst wird die Wanne oder Wiege ein wenig in Bewegung ge- setzt, welche entweder aufgehängt ist oder auf zwei gegenüber- liegenden Steinen ruht, später darf die Bewegung in einer Sänfte stattfinden, nach vier Monaten kann die Amme das Kind in den Armen tragen und so damit spazieren gehen, oder im Wagen fahren. Wir halten es aber nicht für gut, wenn die Amme das Kind auf den Schultern reiten lässt und ihm so Bewegung ver- schafft. Denn in Folge des Druckes gehen die Hoden entweder nach oben in den Unterleib zurück oder sie atrophiren überhaupt; es entwickeln sich so die Kryptorchen (Leute mit verboro-enen Hoden) und Eunuchen.
Kapitel XXXVIII.
Das Abfallen des Nabels.
§ HO1). Wir müssen nun die übrigen Regeln nach der chrono- logischen Ordnung betrachten.
1) Verbrannte Schweinsknochen, ^o'ipeiov öotparaXov. Vergl Dioscorid Mnt fl?.- CaP- 6?- Hier wird der Astragalus des Schweins gebrfnnf als Mitti
t* *d vo“"l l -GriTen bezeichnet- Bei PI in ins, Hist, natur XXVIII f 22 om Schwein „talorum cims“ gegen clavos et rimas gerühmt.
• oranus, Ueber die Krankheiten des weiblichen Geschlechtes. r
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Zunächst fällt nach ungefähr drei bis vier Tagen der Nabel in folge Vertrocknung ab, es bleibt aber auf dessen Grunde eine wunde Stelle zurück und diese ist therapeutisch zu behandeln. Viele Frauen streuen gebrannte und zerriebene Schweinsknöchelchen oder Schnecken oder Zwiebel auf, manche nehmen auch gebranntes und geschlämmtes Blei dazu. Noch besser ist es, ein dem Wirbel an der Spille der Spinnerinnen ähnliches Stück Blei auf die Stelle des Nabels zu legen , denn die kühlende Natur der Materie be- fördert die Heilung des Geschwürs und die Schwere derselben verschafft zugleich dem Nabel eine schöne hohle Form.
Kapitel XXXIX.
Wann und wie ist das Kind aus den Windeln zu
nehmen.
§ ui. Es kommt dann die Zeit, wo das Kind aus den Windeln zu nehmen ist. Manche besorgen dies ungefähr am 40. Tage viele erst ungefähr am 60., andere schieben den Termin noch weiter hinaus. Wir abergehen von der Voraussetzung aus, dass die ganze Ein Wickelung nur den Zweck hat, den Körper zu festigen und jede Verrenkung zu verhüten, und halten die Ent- fernung der Windeln demgemäss erst dann für rathsam, wenn der Körper genügend festen Zusammenhalt gewonnen hat und daher die V errenkung irgend eines Körpertheiles nicht mehr zu befürchten ist. Diese Zeit tritt bei denen, welche im Besitz einer starken Konstitution sind, früher, bei schwächlicherem Körperbau später ein.
Die Windeln dürfen nicht plötzlich und nicht alle zu gleicher Zeit gelöst werden. Denn jede plötzliche Veränderung zum Gegen- theil verursacht eben Schaden. Zuerst befreie man die eine Hand und nach einigen Tagen erst die andere, sodann die Fiisse. Immer aber beginne man mit der rechten, denn wenn diese nach der Ansicht derer, welche es für besser halten erst die linke Hand zu lösen, noch gebunden bleibt, so entwickelt sie sich nicht so kräftig wie die linke, da sie später in Thätigkeit kommt, und dies ist vielfach die Ursache, dass einige Kinder linkhändig werden. Ist das Kind noch' kräftiger geworden, so soll es nicht mehr im Hause, sondern in den öffentlichen Bädern gebadet werden, doch darf das Bad nicht zu lange ausgedehnt werden und nicht zu heiss sein. Denn zu Hause kann man keine so gute und tem- perirte Luft haben !).
l) Wegen Bauart der antiken Häuser, cfr. Pompejanum.
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Bekommt das Kind, während es noch gewickelt ist, in Folge des Druckes der Binden oder aus sonst einer Veranlassung eine wunde Haut, so soll man die Windeln beseitigen, dem Kinde ein einfaches Unterhemd anziehen und die fratte Stelle therapeutisch behandeln.
Kapitel XL.
Wie muss man die Kinder im Sitzen und Gehen üben?
§ 1 121). Versucht das Kind zu sitzen und aufzustehen, so muss man diese Bewegungen unterstützen. Will es zu früh und zu lange sitzen, so pflegt es krumm zu werden, indem das Rückgrat sich in Folge der Weichheit der Knochen biegt. Steht es in übereilter Weise auf und will es gehen, so werden die Beine (resp. Oberschenkel) krumm.
§ 1132). Diese Erscheinung kann man besonders häufig bei den Kindern in Rom beobachten. Den Grund hierfür sehen einige darin, dass der Boden der Stadt von kalten Gewässern durchströmt wird und sich so die Körper leicht erkälten, andere wieder in dem häufigen Coitus der Weiber oder in dem Statt- finden des Coitus nach Weingenuss. Die wahre Ursache liegt jedoch in der Unkenntniss der Kinderpflege. Denn die Frauen in Rom besitzen nicht die innige Liebe zu ihren Kindern, welche sie veranlassen könnte, auf alle Einzelheiten Acht zu geben, wie dies bei den rein griechischen Frauen der Fall ist. Da man die Bewegungen der Kinder nicht überwacht, verkrümmen sich die
1) xa <jy.iXrj Siaaxpecpexat -/axä [xrjpoüc. Das kann man übersetzen „die Beine verkrümmen sich in den Schenkelknochen (also etwa Rachitis), oder die Beine luxiren sich in der Schenkel(Hüft-)gegend (Coxitis tuberculosa ?) freiwilliges Hinken der älteren deutschen Wundärzte. — Es dürfte sich hier um Rachitis handeln. Ermerins übersetzt „crura ad femora inflectuntur.'*
T/.eX-n muss mit „untere Extremitäten“ gegeben werden, von denen uripoi einen Theil (femur) bilden. ‘
Foesius (Oeconomia Hippocratis) p. 157, Art. SiaaxpecpeaÖai = „est per- verti et distorqueri, diciturque de corporis partibus quae rectas actiones non obeunt, sed potius ex rectis distortae et flexuosae sunt, tensisque atque ad sua principia con- tractis nervis, qui ad eas pertingunt.“ Das bezöge sich mehr auf Gelenkkontrakturen, wie sie z. B. bei Coxitis Vorkommen.
2) „Die Frauen in Rom besitzen nicht die innige Liebe“, hiezu vergleiche man Juvenal Satir. VI, 938 ff. :
— sed clamat Pontia, feci,
Confiteor pueris meis aconita paravi.
Quae deprensa patent: facinus : tarnen ipsa peregi.
Tune duos una, saevissima vipera, coena ?
Tune duos? — Septem, si septem forte fuissent !
Credamus tragicis, quidquid de Colchide torva (Medea)
Dicitur et Procne.
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Glieder der meisten. Denn die ganze Körperschwere lastet auf den ' Schenkeln ; während der Estrich, der zumeist mit Steinen gepflastert ist, hart ist und nicht nachgiebt. So veranlassen die Härte des Fussbodens, das Gewicht der Last, die Zartheit des Trägers nothwendig , dass die Glieder nachgeben, weil deren Knochen noch nicht genügende Festigkeit besitzen.
§ 1 1 4. Im Augenblick, wo das Kind mit den Versuchen zu sitzen beginnt, soll man es durch Bekleidung stützen, welche ihm eine gewisse Festigkeit verleihen kann, doch dürfen diese Ver- suche zuerst nicht zu lange ausgedehnt werden. Kommt dann die Zeit, wo es zu kriechen und sich ein wenig aufzurichten ver- sucht, so soll man es an eine Wand lehnen und dort von Zeit zu Zeit allein stehen lassen, nach einiger Zeit lerne es dann an mit Rädern versehenen Körben gehen. So lernt das Kind allmählich in richtigem Verhältniss zur Zunahme der Kräfte das Gehen.
Soviel über die Bewegung; nun haben wir über die Ernähr- ung zu sprechen.
Kapitel XLI.
Zeit und Methode der Entwöhnung des Kindes.
§ 1151). Bis das Kind gekräftigt ist, darf es nur mit Milch genährt werden. So lange nämlich die Poren noc